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Israels Angriff: Bild gegen Wort, Wort gegen Bild

Israel zeigt Videos, die Gaza-Aktivisten legen Zeugnis ab: Heißt Sehen noch Wissen?

Es gibt da diesen Spruch: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Die Gewissheit über die Gültigkeit dieses Satzes ist erschüttert worden. Nicht zum ersten Mal, doch mit neuer Vehemenz. Das israelische Militär hat am Montag die Gaza-„Solidaritätsflotte“ angegriffen und gestürmt. Mindestens neun Menschen starben. Seit dem blutigen Ausgang der strittigen Kommandoaktion versucht die israelische Seite, den Kampf der Bilder zu gewinnen. Die wenigen Videos, die die Zensur für die Weltöffentlichkeit freigegeben hat, sollen belegen, dass die Aktivisten keineswegs friedliche Absichten hatten, sondern gewalttätig waren. Wie bei der Analyse eines Fußballspiels werden in den Schwarz-Weiß-Aufnahmen Menschen gezeigt und eingekringelt, die auf andere eindreschen. Wer Menschen schlägt, muss einkalkulieren, dass der Geschlagene sich wehrt, vielleicht gar schießt. Notwehr ist ein Menschenrecht. Die Israelis haben recht getan, oder?

Politiker der Linken und Gazasympathisanten sprechen von „Krieg“, sie waren Augenzeugen an Bord des gestürmten Schiffes. Sie dementieren, was weitere Videos der Israelis zeigen sollen: Aus den vermeintlichen Pflugscharen der Aktivisten seien Schwerter für den Kampf Mann gegen Mann geworden. Quod erat videndum.

Menschen können lügen, Bilder können lügen im Zeitalter ihrer digitalen Herstellbarkeit, insbesondere wenn Bilder zur Propaganda, zur Waffe werden. Der Grundsatz „Sehen heißt Wissen“ gilt da nur noch eingeschränkt, ersetzt vom Glaubenssatz „Sehen heißt Misstrauen“. Verschwörungstheoretiker kapitalisieren diese Haltung zum Profit.

Der fortgesetzte Missbrauch, die, wie es scheint, allgegenwärtige Manipulation von Bildern, die sich bis auf die banale Ebene der Photoshop-Beauties herunterzieht, bringt selbst robuste Naturen ins Schwanken. Sehen und dabei belogen werden, das scheint der Lauf der medial vermittelten Welt geworden zu sein.

Keiner wird aufhören, sich sein Bild von der Welt machen zu wollen. Er wird weiterhin Millionen fremder Bilder in seinen Massenspeicher einlaufen lassen. Entscheidend ist das zwischengeschaltete Filtersystem. Woher kommt denn die tiefe Skepsis beim Betrachter, wenn die Videos des israelischen Militärs zur Rechtfertigung des Rollkommandos auf hoher See über den Schirm laufen? Vom angeeigneten Wissen um die Vorgeschichte, von tausendundeiner Information über den Ablauf der Aktion. Es gilt die Hoffnung: Wer sich ein immer wieder erneuertes und erweitertes Bildbearbeitungssystem in seinem Hirn installiert hat, nur der hat die Chance, dass er sich von Bildern nicht erschlagen lässt.

Wissen, nicht Wegschauen bricht Propaganda. Also wird die Propaganda raffinierter, also müssen wir mehr wissen.

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