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Meinung: Ist Berlin familienfreundlich?

Kitaplätze für die Kinder reichen nicht. Die Stadt braucht auch Arbeitsplätze für die Eltern

Martin besuchte eine ambitionierte Kita in Berlin-Tiergarten, in seiner Grundschule gab es einen Hort, mit zwölf Jahren konnte er unter 60 Gymnasien wählen und unter noch mehr Sportvereinen. Ist Berlin familienfreundlich?

Martins Mutter ist arbeitslos, sein großer Bruder wartet seit drei Jahren auf einen Ausbildungsplatz, und er selbst kann noch nicht erkennen, ob seine Lieblingsstadt eines Tages für ihn eine Perspektive zu bieten hat. Ist Berlin familienfreundlich?

Ja und Nein. Ob man mehr zum Ja oder mehr zum Nein tendiert, hängt davon ab, unter welchem Aspekt man die Stadt betrachtet. Der „Familienatlas 2005“ der Bundesregierung sagt zum Beispiel Nein: Berlin steht hier mit etlichen trostlosen Regionen in den neuen Ländern an vorletzter Stelle, weil „Perspektiven für Familien fehlen“. Zu den angelegten Kriterien gehören die hohe Arbeitslosigkeit, die fehlenden Ausbildungsplätze, die hohe Schulabbrecherquote, das geringe Sicherheitsgefühl.

Halt! Rufen jetzt die Regierungsvertreter von SPD und PDS. Sie verweisen auf die vorbildliche Versorgung mit Krippen-, Kita- und Hortplätzen, die es doch jeder Mutter und jedem Vater ermöglicht, berufstätig zu sein. Sie gehen davon aus, dass eine gute Kinderbetreuung automatisch zum Prädikat „familienfreundlich“ führen muss.

Die Fakten sprechen dagegen. Die Daten aus dem Familienatlas belegen eindeutig, dass nicht die Quantität der Kinderbetreuung ausschlaggebend ist, sondern die Arbeitsmarktlage: Wo es Arbeit und soziale Sicherheit gibt, werden mehr Kinder geboren. Egal, wie das Betreuungsangebot für die Kinder ist.

Natürlich erleichtert ein gutes Betreuungsangebot die Berufstätigkeit. Aber viele Kita-Plätze reichen offensichtlich nicht aus, um die schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt zu kompensieren und die Geburtenrate zu beflügeln.

Dass dies so ist, sieht man nicht nur in Berlin, sondern in allen neuen Ländern: Sie alle verfügen über ein hervorragend ausgebautes Betreuungsangebot. Und sie alle leiden unter einer erschreckend geringen Geburtenrate.

Verwundern kann das niemanden: Wer möchte schon Kinder bekommen, wenn er am Tropf der Sozialhilfe hängt oder auf Arbeitssuche ist? Arbeitslosigkeit oder die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes sind eben die besten Argumente gegen Kinder.

Und dennoch haben Berlin und die neuen Länder gute Gründe, an ihrem Betreuungsangebot festzuhalten. Denn Kitas bieten viel mehr als „nur“ die Aufbewahrung der Kinder zum Zwecke der Berufstätigkeit der Eltern. Gerade für Familien, die durch Armut oder einen Migrantenhintergrund geprägt sind, ist es wichtig, dass die Kinder in Kitas gefördert werden.

Die Botschaft an den Senat kann deshalb nur heißen: Die Kita-Landschaft bewahren, aber noch viel mehr tun für die Wirtschaftsförderung. Und: Alles tun, um Familien vor dem Wegzug nach Brandenburg abzuhalten: Erschwingliche Grundstücke müssen her, damit die Häuslebauer in Berlin bleiben.

Denn jeder Wegzug schwächt auch die Schulen: Je mehr die soziale Mischung hier schwindet, desto mehr Familien zieht es in die „Heile-Welt-Grundschulen“ im Speckgürtel.

Auch Martin ist inzwischen dort gelandet. Aber er fährt jeden Tag nach Berlin ins Gymnasium. Und er hofft, dass es mit Berlins Wirtschaft bergauf geht.

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