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Meinung: Ist legal auch immer legitim?

„Mit der falschen Einstellung“ vom 4. Mai Es ist doch so: Entweder haben sich die betroffenen Abgeordneten völlig korrekt verhalten oder sie haben den Staat als Selbstbedienungsladen gesehen bzw.

„Mit der falschen Einstellung“ vom 4. Mai

Es ist doch so: Entweder haben sich die betroffenen Abgeordneten völlig korrekt verhalten oder sie haben den Staat als Selbstbedienungsladen gesehen bzw. ihrem Verhalten haftet zumindest eben dieses G’schmäckle an. Im ersten Fall sollten sie nichts tun und ruhigen Gewissens die Angelegenheit ausstehen. Im zweiten Fall allerdings sollten sie das Geld an den Staat zurückzahlen. Wie kommen diese Herrschaften denn dazu, dieses (möglicherweise unsauber geraffte) Geld zu spenden und sich im Wahlkreis möglicherweise noch als Wohltäter darzustellen? Wie kommen sie denn dazu, diese wohltätige Einrichtung selbst zu bestimmen? Wer hindert diese Leute denn daran, die Spenden von der Steuer abzusetzen und dann doch noch einen Reibach zu machen? Die Überheblichkeit dieser Volksvertreter ist offensichtlich grenzenlos. Man kann nur hoffen, dass der Wahlbürger in Bayern sich ähnliche Fragen auch stellt.

Dr. Joachim Senft, Berlin-Grunewald

Die Affäre um die Beschäftigung von Verwandten durch Mitglieder des Bayerischen Landtags hat angesichts der anstehenden Wahlen im September eine hohe Brisanz. Sie untergräbt die als ernsthaft einzuschätzenden Bemühungen von Ministerpräsident Seehofer, der „Vetternwirtschaft“ in der CSU entgegenzuwirken. Obwohl auch Landtagsabgeordnete der SPD, der Grünen und Fraktionslosen Familienangehörige beschäftigt hatten, ist die Affäre in erster Linie eine, die die CSU beschäftigt. Zum einen weil ihr seit Jahrzehnten das „Amigo-Image“ anhaftet, zum anderen weil die 17 Abgeordneten, die im Jahr 2012 noch immer Familienmitglieder ersten Grades beschäftigten, alle der CSU angehörten. Die politische Bewertung der Angelegenheit ist folglich einfach: Sie ist ein schwerer Ballast für die Partei vier Monate vor der Wahl.

Ähnlich einfach ist eine Bewertung aus juristischer Perspektive, da die Betroffenen nichts getan haben, was rechtswidrig gewesen wäre. Denn das Gesetz aus dem Dezember 2000, welches die Beschäftigung von Familienangehörigen ersten Grades untersagt, sieht Übergangsfristen vor. Diese gestatten es, davor geschlossene Verträge auslaufen zu lassen, wobei keine Höchstdauer gesetzt wurde. Kurz gesagt: Bestehende Verträge konnten bisher beliebig lange fortgeführt werden.

Würde man „korrektes“ Verhalten an gesetzlichen Maßstäben messen, so gäbe es an dieser „Beschäftigungspolitik“ nichts auszusetzen. Dennoch muss gefragt werden, ob gesetzliche Maßstäbe die einzigen sind, die es in einem solchen Falle anzulegen gilt, und ob Legalität auch automatisch Legitimität bedeutet. Selbstverständlich muss im Rechtsstaat der Grundsatz gelten, dass Gesetze Handlungsprämissen darstellen. Jedoch gibt es auch moralische Werte und Normen, die über gesetzliche Mindestanforderungen hinausgehen – auch deshalb, weil sich nicht jeder Verhaltensaspekt gesetzlich regeln lässt. In diesem Kontext sei bemerkt, dass das Gesetz in aller Regel der Moral folgt, das heißt, gesetzliche Normen werden zumeist geändert, weil sich die entsprechenden Moralvorstellungen in der Gesellschaft geändert haben.

Das im Jahr 2000 verabschiedete Gesetz samt der enthaltenen Übergangsfrist ist ein Musterbeispiel dafür. Als erkannt wurde, dass die Beschäftigung von Familienangehörigen aufgrund des verstärkten Wunsches nach mehr Transparenz und weniger „Klüngelei“ in der Politik kaum mehr zu erklären sei, hat der Gesetzgeber reagiert. Die Schaffung einer Übergangsfrist ist dabei durchaus zu rechtfertigen, um den Betroffenen genügend Zeit einzuräumen, bestehende Verträge sachgerecht beenden zu können. Warum eine solche Übergangsfrist aber mehr als zwölf Jahre in Anspruch nehmen sollte, ist weder zu erklären noch zu rechtfertigen. Natürlich hätte man dem Ausnützen solch eines Gestaltungsspielraumes durch eine präzise definierte Übergangsfrist vorbeugen können, deren Dauer sich aber hätte schwer bestimmen lassen. Zudem ist es durchaus zu begrüßen, wenn der Staat in einer liberalen Gesellschaftsordnung nicht alles bis in das kleinste Detail regelt und vom Bürger, auch wenn er ein politisches Amt bekleidet, oder gerade dann, ein gewisses Maß an moralischer Eigenverantwortung erwartet.

Die Beschäftigung von Familienangehörigen ist dabei nicht grundsätzlich als maßlos zu beurteilen, insofern die Leistung und deren Bezahlung angemessen sind. Die Vergangenheit und auch die Gegenwart haben jedoch gezeigt, dass dies zu häufig nicht der Fall war. Die unvertretbar lange Fortführung von Verträgen mit Familienangehörigen, überdimensionierte Gehaltszahlungen oder die Beschäftigung von 13-jährigen Kindern lassen eine solche Verantwortung kaum erkennen, auch wenn dabei nicht gegen geltendes Recht verstoßen wurde. Es ist nicht ganz ohne Ironie, dass das Gesetz eine Beschäftigung von unter 15-Jährigen durchaus zulässt, wenn sie beispielsweise im Familienbetrieb erfolgt. Das (Miss-)Verständnis eines politischen Amtes als Familienbetrieb, das einige Abgeordnete an den Tag legten, hätte kaum besser zum Ausdruck gebracht werden können.

Abschließend sei jedoch bemerkt, dass man in der „Beschäftigungsaffäre“ von einer „Sippenhaft“ weiten Abstand nehmen sollte. Denn viele Abgeordnete haben die entsprechenden Verträge schon vor Jahren aufgelöst und sich jetzt klar von denjenigen distanziert, die es nicht getan haben – über Parteigrenzen hinweg, aber auch innerparteilich. Wie so oft waren und sind es einige wenige Uneinsichtige, deren Verhalten eine gesetzliche Regelung erzwingt und damit die moralische Eigenverantwortung reduziert, die eine liberale Bürgergesellschaft eigentlich auszeichnet.

—Prof. Dr. Matthias Fifka, Dr.-Jürgen-Meyer-Stiftungslehrstuhl für Internationale Wirtschaftsethik an der Cologne Business School

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