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Meinung: Ist Peer Steinbrück der richtige Kanzlerkandidat?

„Meine Frau findet ..

„Meine Frau findet ...“ vom 2. Dezember

Ist Peer Steinbrück wirklich der richtige Kandidat für die SPD? Wäre ich Millionär, würde ich diese Frage auf jeden Fall mit Ja beantworten. Sämtliche Tätigkeiten, die Peer Steinbrück bisher als Minister bzw. als Ministerpräsident ausgeübt hat, haben gezeigt, dass er ein Vertreter des Kapitals ist. Ein Knecht des Kapitals sozusagen. Damit tritt er die würdige Nachfolge eines Gerhard Schröders an, der ebenfalls kein anderes Interesse hatte, als die Reichen reicher und die Armen ärmer zu machen. Natürlich kann man die SPD in dieser Rolle (das Gegenteil von dem tun, was im Parteiprogramm steht) für besonders geeignet halten. Aber die SPD lebt immer noch von einem sozialromantischen Image. Wer erwartet, dass Peer Steinbrück z. B. als Bundeskanzler den Mindestlohn einführen wird oder im Lohnbereich sich für mehr Gerechtigkeit (Frau/Mann; Lohnhöhe an und für sich; u. a.) einsetzen wird, der glaubt noch an den Weihnachtsmann. Wie sagte Herr Schmidt, als er noch Regierungschef war, richtig? (Sinngemäß: ) Wer sich in der Politik Visionen macht, gehört in die Klappsmühle.

Anton Kulmus, Berlin-Reinickendorf

Es ist für die SPD in den vergangenen Jahren eine schwere Hypothek gewesen, ihr Regierungshandeln der Jahre 1998 bis 2009 nicht mit dem „gefühlten“ Parteiprogramm ihrer Anhängerschaft in Übereinstimmung bringen zu können. Ein solcher Glaubwürdigkeitsverlust ist nur schwer und langfristig zu korrigieren. Herr Kulmus führt Helmut Schmidt an, um seine Argumentation zu unterstreichen, dass man nicht auf die in der Parteitagsrede Steinbrücks ausgebreiteten Politikforderungen hereinfallen dürfe, da diese nicht ernst gemeint und auch nicht dessen Politikvorstellungen entsprechen würden. Gerade dieser Satz Schmidts allerdings wurde seit 2009 in der SPD der eigenen Führung immer wieder vorgehalten, als Ausdruck einer Kritik der Partei an der eigenen Regierung bemüht. Die SPD müsse eben wieder in die Lage versetzt werden, so die Lesart, über eine wünschenswerte Gesellschaftsordnung zu diskutieren, die man dann der jetzigen Regierung als Alternativmodell entgegensetzen könne. Und vor diesem Hintergrund hat die Parteiführung versucht, einen Parteireformprozess in Gang zu setzen, der es (wieder) ermöglichen sollte, eine moderne Variante der Sozialdemokratie zu buchstabieren.

Aus demokratietheoretischer Sichtwarte ist dies richtig und wichtig - nur, wenn es ausformulierte und klar voneinander unterscheidbare Alternativen gibt, die zur Wahl stehen, gibt es die Möglichkeit, grundsätzliche Diskussionen über das Wünschenswerte zu führen, können möglichst breite gesellschaftliche Gruppen in den politischen Prozess mit einbezogen werden. Fehlt eine solche Gegenüberstellung fundamentaler Alternativkonzepte, gibt es im Gegenteil sogar eine Art „Übergroße Koalition“ (wie dies in Deutschland zuletzt oft wahrgenommen wurde), dann fehlt auch die Möglichkeit grundlegender Kritik, welche ja ein zentrales Element funktionierender parlamentarischer Demokratien sein sollte. Und, nicht zuletzt, eine Übereinstimmung der großen Parteien in vielen Bereichen lässt all diejenigen unbehaust zurück, die sich in diesen Kompromissen nicht mehr wiederfinden. Eine SPD, die sich wieder auf die Entwicklung gesellschaftlicher Alternativkonzepte besinnt, wäre schon aus diesem Grund eine positive Entwicklung.

Weiterhin gehört die Reversibilität, das Zurücknehmenkönnen von Entscheidungen, zu einem zentralen Wert der Demokratie. Wenn ein Wähler mit einer Partei nicht mehr zufrieden ist, versagt er ihr beim nächsten Urnengang die Stimme. Doch Reversibilität gilt selbstverständlich auch für Parteien - wenn ihre Politikkonzepte auf zu wenig Zustimmung treffen, können diese geändert werden. Gleichzeitig muss aber der eigene politische „Markenkern“ möglichst aufrechterhalten werden, da ansonsten die emotionale Bindung der Wähler an die Partei, bei der sie ihren Wertehorizont am ehesten wiedererkennen, verloren zu gehen droht. In diesem Prozess befindet sich die SPD seit 2009. Doch auch einzelnen Politikern muss diese Art Reversibilitätsfähigkeit zugestanden werden. Die Erkenntnis, dass bestimmte Entwicklungen nicht wünschenswert gewesen sind, die man selbst als Regierungshandelnder forciert hat – wie im Fall Steinbrück –, ist ja zunächst einmal etwas Positives. Es gehört zu den Hauptaufgaben der SPD, diese Entwicklung zu forcieren und vom eigenen Spitzenkandidaten die Umsetzung dieser Einsichten dann auch einzufordern. Denn je stärker der Kandidat eingebunden ist in eine selbstbewusste Partei, umso schwerer dürfte es ihm am Ende fallen, Entscheidungen nach Gutdünken und gegen alle Parteibefindlichkeiten zu fällen. Denn was mit dem inneren Gefüge einer Partei geschieht, wenn die gefühlte Bindung der Anhängerschaft an ihre Partei brüchig wird, haben die Sozialdemokraten in den letzten anderthalb Jahrzehnten schmerzhaft zu spüren bekommen. Nun wieder eine Art visionären Überschuss glaubhaft aufzubauen, müsste oberstes Ziel sein – auch, um dem eigenen Kandidaten feste Handlungsleitlinien mit auf den Weg zu geben.

— Felix Butzlaff ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung

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