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Meinung: Jäger und Gejagte

Der Einzelhandel lockt mit immer größeren Rabatten

Jahrelang waren sie sich einig, die Neoliberalen und die Genussmenschen, die Individualisten und die Universitätsdozenten: Ladenschluss und Rabattgesetz, Sonderverkaufsbeschränkungen und all die anderen Reglementierungen für den Einzelhandel sind hoffnungslos von gestern. Sie beschneiden die Freiheit, dann einzukaufen, wann man will. Zu dem Preis, den man bezahlen will. Der deutsche Einzelhandel, da waren sich seine Kunden einig, hatte die alte Verteilungsmentalität immer noch nicht abgestreift.

Im Gegensatz zu Italien und Frankreich, wo die Geschäfte freundlicher Ladeninhaber abends noch geöffnet sind und der Einkauf ein Genuss ist, waren die deutschen Einzelhändler mürrische Spaßverderber, die das Geschäft dann zusperren, wenn’s am schönsten ist. Und nun? Der Ladenschluss wird weiter liberalisiert, am Montag beginnt der letzte offizielle Winterschlussverkauf. Und auf einmal tut es allen leid.

Die Intellektuellen und die Hedonisten fürchten um die vielen kleinen Läden, in denen alles ein bisschen teurer ist, in denen man aber persönlich bedient und beraten wird. Stadtplaner und Bezirkspolitiker sehen die regionalen Handelsketten sterben, von denen sie annehmen, dass sie den Rabattkrieg nicht überleben können. Den Individualisten und Moralisten schwant, dass sich die Gesellschaft verändern wird. Dass Schlussverkaufsjunkies, diese gierigen Gestalten, die bisher nur zwei Mal im Jahr sichtbar wurden, nun jeden Tag durch die Geschäfte gespenstern, immer auf der Suche, immer auf der Jagd. „Hat das die Marktwirtschaft wirklich gewollt?“, fragen sich Politologen und Skeptiker. Droht jetzt eine Abwärtsspirale, die am Ende alle ruiniert? Werden die Menschen in absehbarer Zeit überhaupt noch um den wahren Wert einer Sache wissen? Dieselben Bedenkenträger, die vor einem Jahr noch eine Intifada gegen Händler starten wollten, die nach der Euro-Einführung die Preise erhöht hatten, wollen dieselben Händler nun vor Preisverfall und Rabattkrieg beschützen.

Sie alle können sich beruhigt zurücklehnen. Der Strukturwandel im Einzelhandel wird sich fortsetzen, sonst nichts. Seit Jahren gewinnen die Discounter zu Lasten der kleineren Läden, die großen Elektro- und Computermärkte zu Lasten der kleinen Fachhändler, die Einkaufsmeilen zu Lasten der Kaufhäuser. Seit Jahren müssen kleine Läden schließen, weil die Großen ihre Produkte einfach günstiger anbieten können. Dieser Prozess wird weitergehen.

Der Gesetzgeber ist nur da gefragt, wo dauerhaft unter Einstandspreis verkauft wird, um Wettbewerber aus dem Markt zu drängen. Er darf nur da ordnend eingreifen, wo Konzerne und Großhändler ihre Macht missbrauchen, so dass Konkurrenten nicht mehr beliefert werden. Und er darf – und soll – sich da einmischen, wo Verbraucher systematisch hintergangen und betrogen werden sollen.

Sonst nirgends. Und wer den vielen kleinen freundlichen Fachhändlern nachweint, der sollte nicht länger nach dem ordnenden Staat rufen – sondern in die kleinen Läden gehen: zum Einkaufen.

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