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Meinung: Japans Krise: Die Dampfwalze rollt nicht mehr

Der Autor ist wissenschaftlicher Referent am Institut für Asienkunde in Hamburg. Er hat zahlreiche Beiträge über Korea und Japan publiziert und hat zuletzt den Band "Reformen in Japan", Hamburg, Institut für Asienkunde, 2001, mit herausgegeben.

Der Autor ist wissenschaftlicher Referent am Institut für Asienkunde in Hamburg. Er hat zahlreiche Beiträge über Korea und Japan publiziert und hat zuletzt den Band "Reformen in Japan", Hamburg, Institut für Asienkunde, 2001, mit herausgegeben.

Ende der 80er Jahre erreichte Japan den Zenit seiner wirtschaftlichen Potenz. Der Nikkei-Index lag bei 40 000 Punkten, und eilfertige Analysten lieferten Erklärungen, warum dieser Höhenflug denn auch gerechtfertigt sei. Japan schien allgemein einen Weg gefunden zu haben, die Strukturprobleme anderer fortgeschrittener Industrienationen zu vermeiden. Spektakuläre Einkäufe japanischer Unternehmen in den USA nährten derweil die Sorge vor der scheinbar unaufhaltsamen "Dampfwalze" Japan.

Schneller Vorlauf: Gut zehn Jahre später lautet die wichtigste Frage in Bezug auf Japan eher, wann der neue "kranke Mann Asiens" wieder zu Kräften kommt. Wie konnte aus der Erfolgsstory ein derartiger Krisenfall werden?

Die meisten Beobachter sind sich heute darüber einig, dass sich das lange Zeit so erfolgreiche System der politischen Ökonomie Japans schlicht und einfach überholt hat. Mithin liegt die Wurzel des "japanischen Problems" darin, dass das Land noch immer in den Strukturen, Politikformen und mentalen Angewohnheiten der fünfziger und sechziger Jahre feststeckt. So gesehen stellt das politisch-ökonomische System des heutigen Japan das Relikt einer vergangenen Epoche dar.

Die politische Basis dieses Systems bildeten lange Jahre die Hegemonie der konservativen Liberaldemokratischen Partei (LDP) und die interventionistische Rolle der Ministerialbürokratie im Wirtschaftsleben. Dabei war es für die politische Klasse wichtig, dass von der Wirtschafts- und Industriepolitik nicht nur exportorientierte Großunternehmen profitierten, sondern dass auch andere Klientelgruppen wie Landwirte oder Bauunternehmen subventioniert und geschützt wurden. Eher sozialdemokratisch anmutende Umverteilungsmechanismen sorgten dafür, dass auch weniger wettbewerbsfähige Wirtschaftszweige oder entlegene Regionen vom allgemeinen Wachstum profitierten und dafür der Liberaldemokrtischen Partei die Stange hielten.

Der trügerische Erfolg

Wirtschaftliche Risiken wurden durch staatliche Schutz- und Subventionsmaßnahmen sowie institutionelle Arrangements innerhalb und zwischen Unternehmen transferiert und abgemildert. Dieser "Konvoi-Kapitalismus" garantierte lange Zeit sozioökonomischen Zusammenhalt. Er förderte jedoch auch die Existenz einer ausgeprägten "dualen Wirtschaft", in der hyperkompetitive Unternehmen in Bereichen wie Haushaltselektronik, Automobile und Präzisionsmaschinen neben wenig effizienten, aber geschützten wirtschaftlichen Akteuren in Bereichen wie Bau- und Transportgewerbe, Grundstoffe, Landwirtschaft und Teilen des Finanzgewerbes existieren.

Sorgten nach innen Kartelle und regulierter Markteintritt für Stabilität und Preisgarantien wurde nach außen das Vordringen ausländischer Unternehmen und der Import von verarbeiteten Produkten durch formale Barrieren und informelle Hindernisse begrenzt. Insgesamt ergänzten sich die Elemente der politischen Ökonomie Japans recht gut und verhalfen dem System zu einem gewissen Gleichgewichtszustand. Das Ende der "Blasenwirtschaft" der späten achziger Jahre Jahre signalisierte jedoch in unübersehbarer Weise den Niedergang des alten Modells.

Der Zugriff auf große Finanzreserven hat es jedoch bisher dem Staat ermöglicht, wirtschaftspolitische Reformen aufzuschieben und sich mit immer neuen Konjunkturprogrammen "durchzuwursteln". Große Länder haben nun einmal den zweifelhaften Vorteil, Reformzwänge für einen längeren Zeitraum ignorieren zu können als kleinere Nationen. Doch irgendwann erreichen auch sie das Ende der Fahnenstange.

Dieser Zeitpunkt rückt auch in Japan immer näher. Um das bisher Erreichte zu erhalten, sind umfassende Strukturreformen unausweichlich. Während sich einige größere Unternehmen der Herausforderung stellen, zögert die Regierung ihren Teil beizutragen. Sie fürchtet, die ihr verbliebene Wählerschaft, Landwirte und andere Klientelgruppen, zu verlieren. Ein längere Verweildauer in der Opposition könnte für die Liberaldemokratische Partei das Aus bedeuten. Dies weiß die Partei und klammert sich um so fester an die verbleibenden Stützen der Macht.

Ganz oben auf der wirtschaftspolitischen Prioritätenliste Japans müssen der Umbau und die Neuausrichtung des gesamten Steuersystems, der öffentlichen Sicherungssysteme sowie der betrieblichen und staatlichen Rentenkassen stehen. Natürlich würden Reformen in diesen Bereichen allein nicht ausreichen, um ein erneutes "Durchstarten" der Wirtschaft zu gewährleisten.

Aber sie würden zumindest dazu beitragen, wieder bei Bürgern und Unternehmen Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Systems herzustellen. Damit wäre eine wichtige Grundlage für die Genesung der japanischen Wirtschaft gelegt. Zweifel bleiben jedoch, ob die angeschlagene Regierung, mit oder ohne Premier Mori, die Kraft und den Willen aufbringen kann, sich auf Reformen einzulassen.

Noch profitiert sie davon, dass auch die in sich gespaltene Opposition kein überzeugendes Konzept vorlegen kann. Dass schließlich Reformen auch von staatlicher Seite erfolgen werden, steht außer Frage. Bisher dahin könnte jedoch noch einige wertvolle Zeit verloren gehen.

Patrick Köllner

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