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Meinung: Jede Menge Bierdeckel

Die Reichensteuer ist Unsinn: Wer Umverteilung will, soll eine ehrliche Debatte führen

Schon das Wort Reichensteuer zeigt, wie plump der Reflex der SPD war. Geboren in einem aussichtslos geglaubten, aber dann nur knapp verlorenen Wahlkampf. Eine Verlängerung der Heuschrecken-Rhetorik. Kaum durchdacht, eine Wahlkampfkrücke, mit der die Bundesregierung jetzt notgedrungen weiterhumpelt.

Der sozialdemokratische Kanzler, der sich damals zur Wiederwahl stellte, hatte die Spitzensteuersätze gesenkt. Man konnte also schlecht deren Erhöhung fordern. Und so wurde die Zusatzsteuer für Großverdiener geboren, die das Bundeskabinett gestern beschlossen hat: Von jedem Euro über 250 000 Euro Jahreseinkommen – bei Ehepaaren 500 000 Euro – werden zusätzlich zum Spitzensteuersatz drei Prozent abgezwackt.

Man könnte darüber streiten, ob diese Einkommensklasse mit dem Wort reich treffend umschrieben ist. Es ist mehr Geld, als die meisten verdienen, das ist richtig – aber reich? Sei’s drum, sich an dem Begriff abzuarbeiten, führt ohnehin in die Irre. Auch Solidaritätszuschlag und Ökosteuer sind ja nicht das, was sie zu sein scheinen. Es soll also nicht um Begriffe gehen, sondern um Politik. Und die hat in der Reichensteuer eine kaum zu überbietende Absurdität erreicht. Die verfassungsrechtlichen Bedenken führten nicht etwa dazu, das Projekt zu stoppen, sondern Ausnahmen zu formulieren: Gewerbliche Einkünfte, Freiberufler und Landwirte bleiben außen vor.

Die SPD kann sich nun bei ihrer Klientel feiern lassen, weil sie „die Reichensteuer“ durchgesetzt hat. Und die Union kann auftrumpfen, dass diese Steuer nun fast niemand mehr zahlen muss. 127 Millionen Euro bringt die gesetzgeberische Missgeburt im nächsten Jahr und 250 Millionen Euro ab dem übernächsten, hofft das Finanzministerium. Das sind angesichts der Haushaltsprobleme – Deutschland ist mit 1,5 Billionen Euro verschuldet – lächerlich niedrige Beträge.

Nun kann man durchaus den Gedanken verfolgen, in schwierigen Zeiten die Solidarität der Leistungsträger einzufordern. Dann aber doch bitte ehrlich: Wer die Spitzensteuersätze erhöhen und eine Umverteilung von oben nach unten erreichen will, soll sich die politische Mehrheit dafür organisieren, statt die Bürger, die Wähler mit nahezu wirkungslosen Symbolgesetzen zu behelligen.

Ohnehin ist es höchste Zeit, in der Steuerpolitik einen Schritt vorwärts zu machen. Einst wollte die Union ein neues Steuerrecht auf einen Bierdeckel schreiben. Davon ist sie weit entfernt. Für das aktuelle Steuerrecht reicht wahrscheinlich ein Fußballfeld nicht aus, und mit der Reichensteuer kommt ein weiterer Stapel Bierdeckel dazu.

Hoffentlich gibt dieser Vorgang keinen Vorgeschmack darauf, wie die Eckpunkte der Unternehmenssteuerreform ausfallen, die bis zur Sommerpause vorliegen sollen. Von einer Politik kleiner Schritte war die Rede, davon, dass Kompromisse in der großen Koalition mühsam sind, dann aber von großen Mehrheiten getragen werden. Niemand hat gesagt, dass auf der Stelle getrippelt wird, dass die Kompromisse zum Himmel stinken, dass alle Bürger – reiche und arme, vor allem aber alle dazwischen – mehr und noch mehr zahlen müssen.

Fürs Durchregieren, wie es die Kanzlerin einst wollte, gab es keine Mehrheit. Das mag man gut oder schlecht finden. Aber die Reichensteuer zeigt auf bestürzende Weise, wie wenig geschlossen, wie planlos diese Bundesregierung agiert.

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