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Meinung: Jede Stunde zählt

Ärztestreik: Die Mehrarbeit muss honoriert werden

Alexander S. Kekulé Nach dem Müll und den Kleinkindern bleiben jetzt auch noch die Patienten auf der Straße: Die epidemische Streiklust hat Deutschlands Klinikärzte erfasst. Seit Donnerstag ziehen die Weißkittel kräftig trillernd um die Krankenhäuser – für bessere Arbeitsbedingungen, bezahlte Überstunden und 30 Prozent mehr Gehalt.

30 Prozent, das klingt unverhältnismäßig hoch. Der Marburger Bund, die Gewerkschaft der Krankenhausärzte, errechnet dafür einen Mehrbedarf von drei Milliarden Euro und will den Beitragssatz der Krankenversicherungen um 0,3 Prozent erhöhen. Gesundheitsministerin Schmidt kommt sogar auf zehn Milliarden Mehrbedarf, entsprechend einem ganzen Prozent Beitragssteigerung. Sie sagt zu Recht, die Ärzte könnten keine Beitragssteigerungen von Einzahlern verlangen, die selbst nichts in der Tasche haben – die Krise fordert Zurückhaltung, auch von den Ärzten. Mit seiner unappetitlichen 30-Prozent-Forderung lieferte der Marburger Bund eine unnötige Steilvorlage für Gesundheitspolitiker und Krankenhausbetreiber. Auch die Distanzierung der Ärzte vom Pflegepersonal, das mit Verdi seit Wochen ebenfalls für bessere Arbeitsbedingungen und angemessenes Gehalt kämpft, bedient hässliche Vorurteile: Pochen die gefallenen Halbgötter in Weiß etwa auf antiquierte Standesprivilegien, auf Einfluss und Reichtum ihrer Kaste?

Die Realität im Klinikalltag sieht anders aus. Assistenzärzte stehen unter Dauerstress, einige arbeiten Tag und Nacht. Sich weiterbilden und forschen müssen die „Assis“ nach Dienstschluss, wenn die letzte Infusion gelegt und der letzte Brief diktiert ist. Viele sind chronisch übermüdet, der Partner ist genervt von den langen und unberechenbaren Arbeitszeiten. Gewiss, in Anwaltssozietäten und Ingenieurbüros, bei Unternehmensberatern und in den Führungsetagen großer Firmen wird genauso hart gearbeitet. Doch in den anderen akademischen Eliteberufen, gibt es einen kleinen Unterschied: Wer durch Einsatz und Können Mehrwert für die Firma schafft, bekommt dafür auch mehr Geld. Wer für die Firma teuer ist, bekommt eine Sekretärin und logistische Unterstützung, damit er sich auf den Job konzentrieren kann, für den er qualifiziert ist. Oft sorgen ganze Abteilungen dafür, dass sich die „Young Potentials“ wohl fühlen und ihre Fähigkeiten entfalten, zum Wohle des Unternehmens.

Das ist bei Assistenzärzten anders. Die meisten haben befristete Verträge und bangen jährlich um die Verlängerung. Deshalb machen sie trotz niedrigem Grundgehalt unzählige Überstunden gratis – man darf das ruhig „Erpressung“ nennen. Assis sind deshalb billig und werden wie Billigware behandelt: Sie müssen fotokopieren, Formulare ausfüllen und Tätigkeiten verrichten, die in anderen Ländern selbstverständlich das Pflegepersonal macht. Doch Schwestern und Pfleger sind hierzulande Mangelware.

So darf das nicht weitergehen, wenn der Arztberuf für hochbegabte und ehrgeizige junge Menschen attraktiv sein soll. Das Einkommen der Klinikärzte in Deutschland bildet im Vergleich mit anderen hoch entwickelten Ländern das Schlusslicht, hinter Italien, Dänemark und Spanien. In Frankreich und England verdienen Klinikärzte das Doppelte bis Dreifache, in den USA das Fünffache der deutschen Gehälter.

Die jungen Assistenzärzte sind Opfer einer jahrzehntelangen Fehlentwicklung, an deren Ende ein aufgeblähtes Gesundheitssystem steht mit zu vielen sinnlosen Leistungen, zu vielen überflüssigen Medikamenten, zu vielen Klinikbetten und zu vielen Krankenhäusern. Der einzige Ausweg aus dem Dilemma ist eine konsequente Verschlankung und Effizienzsteigerung des Gesundheitssystems.

Den aus der Kontrolle geratenen Medizinmoloch durch eine 30-Prozent-Gehaltsspritze wie Unkraut weiter wachsen zu lassen, wäre dagegen der falsche Weg. Viel vernünftiger ist die Forderung nach Bezahlung sämtlicher Überstunden: Verbunden mit einer moderaten Steigerung des Grundgehaltes würde dies das Einkommen der Assis verbessern und zugleich die Klinikbetreiber zwingen, den Produktivitätsfaktor „Assistenzarzt“ seiner Qualifikation entsprechend einzusetzen. Vielleicht lernen die Kliniken dadurch endlich zu schätzen, wie wertvoll gute Assistenzärzte sind.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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