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Meinung: Jenseits der erdichteten Welt

Von Hans Scholl WO IST GOTT? Drei Philosophen der jüngeren Vergangenheit haben das Verhältnis der realen Welt zu Gott mit dem einer erdichteten Welt zum Dichter verglichen: William James, Alfred North Whitehead und Günther Jacoby.

Von Hans Scholl

WO IST GOTT?

Drei Philosophen der jüngeren Vergangenheit haben das Verhältnis der realen Welt zu Gott mit dem einer erdichteten Welt zum Dichter verglichen: William James, Alfred North Whitehead und Günther Jacoby. Letzterer wusste, dass man meist, ob man nun an Gott glaubt oder nicht, gar nicht so genau wissen will, wo man ihn denn zu suchen hätte. Eine wirkliche Antwort scheint beim heutigen Weltbild zu schwierig. Jacobys Antwort hat vier Teile: Gott ist nirgends und niemals, nämlich nicht im Raum und in der Zeit unserer Welt. Denn deren Schöpfer soll er ja sein. Auch kann er nicht, um mit Friedrich Nietzsche zu reden, in der Welt sterben, sondern nur der Glaube an ihn.

Wenn es ihn gibt, so muss er von uns in einer ähnlichen Richtung gesucht werden, in der in einer Romanwelt erdichtete Personen ihren Dichter suchen müssten. Der Gott, an den Juden, Christen und Moslems glauben, ist nicht von Menschen erdacht. Eher kann man sagen: Sie sind von ihm erdacht. Der Dichter hat Gewalt über die Romanwelt so wie jeder über seine Gedanken. Es geht beim Gottesglauben um die Frage, woher es kommt und wozu es dient, dass unsere Welt, unsere gesamte Ahnenreihe und wir mit unserem individuellen Schicksal überhaupt existieren. Martin Heidegger assoziierte bewusstes Existieren mit Angst. Für ihn war der Mensch hineingehalten ins Nichts. Der nirgends in der Welt aufzufindende Gott wäre nach diesem Gleichnis doch jedem Menschen viel näher, als ihm irgendetwas in der Welt sein kann: eben so nahe wie ein Denkender seinen Gedanken.

Der Vergleich mit der Dichtung ist nur ein Bild. Aber ohne ein solches können wir das reale Verhältnis, in dem wir zu Gott zu stehen glauben, nicht verstehen. „Gott“ steht für den Christen in einem nicht räumlichen Sinn „hinter“ dem Weltgeschehen. Besonders irritiert an dem Gleichnis, dass es für die menschliche Freiheit letztlich keinen Raum lässt.

Aber das gilt nur für die göttliche Perspektive, nicht für unsere alltägliche Wahrnehmung des Lebens, an die wir gebunden sind: Wir müssen unentwegt Entscheidungen treffen. Martin Luther, Johannes Calvin und der Koran riefen die Menschen zu von ihnen selbst zu verantwortendem Handeln auf.

Aus Jacobys philosophischer Erörterung über den Ort Gottes heraus fällt die mögliche christliche Deutung des Todes Jesu am Kreuz, „in“ ihm habe Gott selbst für uns den Tod erlitten. Eine solche Auffassung würde am ehesten dem Sinn des Diktums Nietzsches gerecht. Sie würde besagen: So, wie es Jesus ergangen ist, würde es Gott selber ergehen, wenn er als Mensch in unserer Welt erschiene. Das ist dann nicht mehr eine wörtlich gemeinte Auskunft über den „Ort“ Gottes: Er wäre etwa so „in“ den betreffenden Menschen, wie mir mein verstorbener Bruder in seinem Sohn wiederbegegnet.

Der Autor war Direktor des evangelischen Gymnasiums zum Grauen Kloster und ist seit Jahrzehnten im Kirchendienst tätig.

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