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Meinung: Jesus und Marx – Brüder im Geiste

Warum der Katholikentag auf der Höhe der Zeit ist Von Franz Alt

Das Thema „Gerechtigkeit“ ist ein „Schlüsselbegriff biblischer Theologie“ und „Prüfstein für ein Land im Umbruch“, „Maßstab für das neue Europa“ und „Hoffnung der Menschen weltweit“ – so lauten die Überschriften des Programmheftes zum Katholikentag in Saarbrücken, zu dem bis Sonntag 25.000 Menschen erwartet werden.

Deutschlands Katholiken wollen in Zeiten der Globalisierung neu über die Grundlage des Sozialstaates nachdenken. Der gastgebende Trierer Bischof Reinhard Marx ist nicht nur Namensvetter von Karl Marx, der ebenfalls aus Trier stammt, sondern sagt auch: „Karl Marx hatte doch Recht, wenn er beklagte, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.“

Vier aktuelle Beispiele können helfen, die überraschenden Koalitionen von Kirche und Marx zu illustrieren. Erstens: Jeden Tag verhungern 26.000 Menschen. Zweitens: Die vier reichsten US-amerikanischen Männer verfügen über mehr Geld als die eine Milliarde der ärmsten Menschen dieser Welt. Drittens: Das US-Militär gibt zur Zeit in 32 Stunden so viel Geld aus, wie der UNO in einem ganzen Jahr zur Verfügung steht. Viertens: Deutschland ist nur noch von Freunden umzingelt, gibt aber siebenmal mehr Geld fürs Militär aus als für die Entwicklungshilfe.

Das alles sind keine guten Voraussetzungen für sozialen Frieden und für eine bessere Welt. In Saarbrücken, an der Grenze zu Frankreich und Luxemburg, findet der europäischste aller 97 bisherigen Katholikentage statt. Das Programm ist zum Teil zwei- und dreisprachig. Auch dadurch soll auf das Generalthema „Gerechtigkeit in der EINEN Welt“ hingewiesen werden.

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Hans Joachim Meyer, sagte, dieser Katholikentag sei eine „Werkstatt des sozialen Katholizismus“. Die Hauptthemen der über 1000 Veranstaltungen sind Kinderarmut, Massenarbeitslosigkeit und Globalisierung. Aids, gerechter Agrarhandel, Mikrokredite für die Armen und Klimawandel. Ein Katholikentag auf der Höhe der Zeit!

Wer, wenn nicht die Kirchen, die sich auf den wunderbaren jungen Mann aus Nazareth berufen, wären prädestiniert, auf die schreienden Ungerechtigkeiten unserer Welt immer wieder hinzuweisen? Auf die Frage: Welche Leitfiguren braucht das 21. Jahrhundert, wenn es ein besseres als das 20. Jahrhundert mit zwei Weltkriegen werden soll, gebe es nur diese Antwort: „Jesus und Karl Marx“, sagte Michail Gorbatschow in einem Fernsehinterview dazu.

In seiner Enzyklika „Deus amor est“ nennt Papst Benedikt XVI. den gegenwärtigen Raubtier-Kapitalismus ebenfalls in beinahe marxistischer Sprache „eine Räuberbande“. Er zitierte damit allerdings den Heiligen Augustinus, der vor 1600 Jahren die Ungerechtigkeiten seiner Zeit ebenfalls deutlich anprangerte.

Jesus Christus, Augustinus, Karl Marx, Benedikt XVI. und Bischof Marx aus Trier haben all denen viel zu sagen, die sich mit den Ungerechtigkeiten dieser Welt nicht abfinden wollen und die von einer besseren Welt träumen und dafür arbeiten.

Ungebremster Kapitalismus ist mit dem Liebesgebot Jesu nie und nimmer zu vereinbaren. Gut, dass der Katholikentag wieder einmal daran erinnert. Nur eine gerechtere Welt wird eine bessere Welt.

Der Autor leitete und moderierte von 1972 bis 1992 das ARD-Magazin „Report“. Heute schreibt er Bücher und ist Ökologe.

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