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Joachim Gauck im Gespräch: Im Live-Format

Warum die Bürger den Bundespräsidenten mehr nach seiner Meinung fragen sollten. Vier Thesen könnten dabei im Vordergrund stehen. Das würde so manches erhellen.

Christian Wulff – was war da noch? Und wer war das noch? Es wirkt so lange her und so entfernt. Ob ihm ein Verfahren gemacht wird oder nicht, ob es um siebenfuffzig oder siebenhundertfuffzig Euro ging, die Zeit ist darüber hinweggegangen. Auch die Anteilnahme an alledem ist gering, in jeder Hinsicht. Außerdem haben wir ja längst wieder einen Bundespräsidenten.

Joachim Gauck heißt er. Ein freundlicher älterer Herr ist er. Ein früherer Pfarrer, ein Bürgerrechtler der letzten Stunde der DDR. Einer, der dem Volk aufs Maul schaut, ohne ihm nach dem Mund zu reden. So war er angepriesen, und so hat er sich gerade in Erinnerung gebracht mit seinen Antworten auf 20 Fragen, die ihm das Volk via „Bild am Sonntag“ stellt.

Eine gute Idee: Bürger fragen, Politiker antworten, das wäre ein Live-Format wert. Gauck ist nun kein Politiker, er antwortet nur so, aber wenn er redet, ist das erfrischend anders. Da hört man förmlich, wie er am liebsten Thesen irgendwo annageln würde. Und das täte not.

These eins, als Vorschlag: Bringt mehr Mut zur Wahrheit in die Politik. – Dass Wolfgang Schäuble sagt, was mit Griechenland sein wird, wird ihm übel genommen. Warum eigentlich? Sage, was du tust, und tue, was du sagst – so kann nachher keiner sagen: Das hätte mal einer sagen sollen. Woraus ein vereinzelter Sozialdemokrat die „große Lüge“ macht. Dabei wäre gelogen, wenn die SPD jetzt sagte, dass sie alles anders machen würde, nämlich nicht mehr zahlen. Wehe dem, der sich da über Gebühr aufregt.

These zwei: Weniger Bigotterie in den Kirchen. – Joachim Gauck hat hergeleitet, warum ein Christenmensch nach einer gerechteren Welt streben soll; nicht nach einer selbstgerechteren. Wie es aber bei Kirchenoberen zu beobachten ist, ob Katholiken oder Protestanten. Bei Letzteren, die gerade im Staat an allen entscheidenden Stellen das Sagen haben, herrscht leider Gottes zurzeit die Dominanz der Beliebigkeit. Ein Werterelativismus durch allzu freie theologische Auslegung, in dem Versuch, die eigene Lebenswelt zum Maßstab zu machen. Beispiel: das Familienbild der EKD. Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider wird der Sache jedenfalls nicht mehr Herr. Wen das nicht aufregt …

Dritte These: Macht euch ehrlich in der Politik. – Die Grünen haben ein großes Problem, und ausgerechnet sie, die den Katholiken immer den Spiegel vorgehalten haben, wollen selber lieber nicht hineinschauen. Oder wenn, dann nur kurz, in der Hoffnung, dass der Spiegel blind ist. Das Thema Pädophilie ist aber beileibe keines zum Wegschauen. Es wirkt vielmehr, als schauten immer mehr gerade erst richtig hin. Das kann noch aufregend werden.

Vierte These: West- und Ostdeutsche, ertragt euch nicht nur, vertragt es auch, übereinander miteinander zu reden. – Sich im Hinblick darauf mit Steinbrück auseinanderzusetzen, heißt, seine Stasi-Akte zu lesen. Die er veröffentlicht hat! Und Angela Merkel? Die nicht. Das wäre ein Anfang. Die Auseinandersetzung könnte so aufregend wie anregend werden.

Am kommenden Sonnabend sind übrigens alle zum Bürgerfest ins Schloss Bellevue eingeladen, in den Amtssitz des Präsidenten, von elf bis 21Uhr 30. Der freundliche ältere Hausherr ist Joachim Gauck. Mit ihm kann man reden. Auch über andere Thesen.

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