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Meinung: Jürgen Trittin: So spät und so schnell

Wieder beginnt eine Woche mit brisanten Vorwürfen gegen einen Minister. Zwar war es letztlich eine Zufallsbegegnung mit Michael Buback im ICE, die Jürgen Trittin in Erklärungsnot gebracht hat.

Von Hans Monath

Wieder beginnt eine Woche mit brisanten Vorwürfen gegen einen Minister. Zwar war es letztlich eine Zufallsbegegnung mit Michael Buback im ICE, die Jürgen Trittin in Erklärungsnot gebracht hat. Trotzdem überraschen die Vorhaltungen nicht - sie fügen sich in die großen Linien einer neuen Auseinandersetzung über die Vergangenheit der bundesdeutschen Linken und liefern einer dankbaren Opposition Munition.

Wie Trittin heute zum Mord an Siegfried Buback und zum Mescalero-Text ("klammheimliche Freude") steht, ist seit gestern bekannt. Er hat sich erklärt. Und man darf ihm glauben, dass beim Treffen im Zug zwei Männer aneinander vorbei geredet haben.

Das Irritierende an dieser Erklärung ist nicht, dass der heutige Umweltminister sie vorgelegt hat. Das Irritierende an dem Vorgang ist, dass er sich erst so spät eindeutig erklärt hat. Und dass sich der Bruch in seinem politischen Leben, den es ja offensichtlich gegeben hat, bisher so wenig in seinem Reden über sich selbst niedergeschlagen hat. Ist von Trittin eine Aussage oder ein Dokument bekannt, in dem er sich mit ähnlicher Emphase wie gestern von den "schlimmsten Verbrechen des Terrorismus in Deutschland in den 70er Jahren" distanziert hat? Zumindest in dem Fernsehinterview des NDR 1994, da war er Minister in Hannover, hat er die Gelegenheit zur Distanzierung demonstrativ verstreichen lassen.

Es erscheint seltsam, dass die Debatte über die Verfehlungen grüner Spitzenpolitiker in den 70er Jahren ausgerechnet über den Umweltminister und das ehemalige Mitglied des militanten Kommunistischen Bundes hinwegzugehen schien. Und wieso glaubte Jürgen Trittin, während Joschka Fischer sich im Bundestag Löcher in den Bauch fragten lassen musste, er selbst brauche nicht Stellung nehmen, wenn das Land eine große Debatte über die 70er führt?

In der Sache gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen dem, was Fischer vorgeworfen wird, und dem, wovon Trittin sich nun so spät und so schnell distanziert. Bei Fischer geht es um physische Gewalt, und die wirft Trittin niemand vor. Sogar der ehemalige Göttinger Polizeichef nimmt ihn da in Schutz. Es geht um Haltungen, um Urteile, um Begriffe. Aber auch die können eine große Wirkung haben und verletzend sein.

Trotzdem erscheint der Außenminister glaubwürdiger. Fischer hat nicht nur über seine Sponti-Zeit stets öffentlich geredet. Seine politische Leistung seit der Gründung der Grünen ist gerade die öffentliche Bewältigung seiner eigenen Irrtümer und die seiner Mitstreiter - er hat seine Partei auf dem Weg aus der Verachtung der parlamentarischen Demokratie hin zur Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols und zur Regierungsfähigkeit immer vorangetrieben - gegen Widerstände. Jürgen Trittin war bei dieser Auseinandersetzung mit den eigenen Irrtümern bekanntlich nicht Fischers engster Verbündeter, sondern hat meist die Kräfte der Gegenseite organisiert. Erst das Ministeramt hat dann aus dem Führer des linken Flügels seiner Partei einen Staatsmann gemacht.

Wahrscheinlich kann die Opposition Trittin nicht stürzen. Dazu ist nicht nur der Vorwurf zu wenig schwerwiegend, dazu ist auch Gerhard Schröders Kabinett zu ausgedünnt. Mit Ausnahme des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch fordert die Opposition von Joschka Fischer nicht den Rücktritt. Trotzdem werden die neuen Fragen und Vorwürfe gegen Vertreter der Grünen Wirkung haben.

Bei jeder Demonstration gegen einen Atomtransport oder den Ausbau eines Großflughafens werden nun an die Grünen alte Fragen neu gestellt: Wie haltet ihr es mit der Gewalt? Der Druck wird zunehmen, den Unterschied zwischen legitimem und legalem Protest gegen ein als gefährlich empfundenes Vorhaben und der augenzwinkernden Hinnahme von Gewalt Dritter deutlich zu machen. Denn immer wird die Opposition mit Blick auf die zwei attackierten Minister sagen: Ihr habt es doch nicht gelernt. Das ist zwar ein durchsichtiges Vorhaben. Aber wenn die neue Debatte für die Grünen letzte Klarheit in der Gewaltfrage bringt, es wäre kein schlechtes Ergebnis.

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