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Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein hatte am vergangenen Wochenende einen besonders interessanten Interviewpartner.

© dpa

Bundesligakolumne: Mit 100 KMH ins Abseits

Um in seiner Bundesligakolumne nicht weiter auf der Werder-Niederlage rumzuhacken, schaute sich David Fresen das aktuelle Sportstudio an. Ein Kommentar zu der Sendung und Hakan Çalhanoğlu drängte sich beinahe auf.

Es ist Samstag, kurz nach elf, ich lasse mich in meinen Sessel fallen und schalte den Fernseher ein. Aktuelles Sportstudio im ZDF. Kathrin Müller-Hohenstein, ich nenne sie nur noch KMH, lächelt mich an – ich muss den Drang bekämpfen, nicht gleich wieder auszuschalten. Mensch, wo ist denn der Jochen schon wieder, wenn man ihn mal braucht? Na egal, ich entschließe mich dazu, mich durchzukämpfen, weil ich beim vorherigen Sichten der Sportschau auf kein anderes Thema für meine Bundesligakolumne gestoßen bin, als die 6:0-Niederlage von Werder Bremen gegen den FC Bayern München – und ich wollte mir wenigstens noch ein bisschen Fan-Würde bewahren und außerdem auch meinen Blutdruck schonen.

Obwohl es mir schon schwer fällt, mit anzusehen, wenn Werder derart untergeht. Übrigens, seit Beginn der statistischen Erfassung 1993 hat es noch nie ein Verein hinbekommen, keinen einzigen Torschuss auf das gegnerische Tor abzugeben. Mir hätte sogar einer aufs eigene Tor gereicht.

Insofern bin ich schon ein bisschen aufgeladen – und das wurde nicht besser, als der Gast des Abends angekündigt wird: Hakan Çalhanoğlu. Der Spieler, den Bremen einmal schon fast am Haken hatte und der dann von Hamburg weggeschnappt wurde. Einzig und allein KHM hält mich mit der Aussprache seines Namens bei der Stange. Frei nach dem Motto: Wenn man einen Konsonant weglässt, kann man zum Ausgleich einfach einen neuen hinzufügen.

Im gleichen Augenblick ertönt die Melodie von „Thrift Shop“, die Kamera zoomt auf die Tür und zeigt den Mittelfeldspieler, der zwischen grellen, hellblauen Scheinwerfern in das Studio tritt. Er winkt zum Publikum, als wäre er der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und begrüßt die Moderatorin, die ein kleines Freudentänzchen aufführt. Die Kamera umrundet das Pärchen, während KMH noch einmal seinen Namen vergewaltigt.

Fragen ohne Antworten und pausenlose Themenwechsel

Als die Liedzeile „Walk into the club like what up? I got a big cock“ ertönt, lächeln die beiden sich an. KMH ist auch nicht gerade schüchtern und spricht ihn gleich darauf an, dass sie spontan gedacht hätte: „Das ist Ihre Musik“. Er stimmt ihr zu. Bahnt sich da etwas an? Ich bleibe dran.

Als die beiden dann das Spiel gegen Leverkusen analysieren, bombardiert KMH ihn mit Fragen, ohne ihm die Zeit zu lassen, diese zu beantworten. Als er dann endlich mal darf, beantwortet er, welch Überraschung, keine Frage so richtig. Doch KMH ist das egal und wechselt schon wieder das Themenfeld. Diesmal ist das Mannschaftsklima bei Leverkusen im Vergleich zum HSV dran. Beweisstück: Ein Video, in dem er und Bayer-Teamkollege Karim Bellarabi tanzen. Hamburg hingegen sei ein Verein, der nicht zur Ruhe kommt, sagt Hakan Çalhanoğlu. Themenwechsel, diesmal geht es um die Entscheidung: Bayer oder Bayern. Çalhanoğlu betont zum zehnten Mal, dass er sich in Leverkusen sehr wohl fühle. Trotzdem hakt KMH nach, der Spieler drückt sich vor einer klaren Aussage.

Fußballberichterstattung wird zum neuen Mitten im Leben

Ganz großes Kino! Gänsehaut pur! Was ist aus der Fußballberichterstattung nur geworden? Früher, okay zugegeben, als ich noch gar nicht auf der Welt war, da war Fußball noch der Heilige Gral im Fernsehen. Bei einschneidenden Veränderungen wurde protestiert als würde auf einmal die Rente gestrichen werden, zum Beispiel als die erste weibliche Sportreporterin auf Sendung ging - und das ist ja noch nicht mal etwas Schlimmes.

Heutzutage übernimmt RTL die Ausstrahlung der Qualifikationsspiele der deutschen Nationalmannschaft und kein Schwein juckt es. Wir sind so eingelullt von dem restlichen Fernsehprogramm, dass wir nicht bemerken, wie der Sport langsam auch nur zu einer anderen Art von Mitten im Leben wird. Auch die öffentlichen Sender denken, sie müssten sich an dem Stil der Privatprogramme orientieren. Aber will das jemand?

Ich für meinen Teil möchte etwas über Fußball an sich erfahren, nicht darüber, dass Mandy Capristo sich von Mesut Özil getrennt haben soll. Im aktuellen Sportstudio wirken die Beiträge über die Fußballspiele aber bisweilen eher wie Werbung zwischen dem Interview, dabei sollte es doch andersherum sein. Was interessiert mich das Aufrollen des „Skandals“, dass Hakan Çalhanoğlu sich erst zum HSV bekannt hat und wenig später zu Bayer Leverkusen gewechselt ist? Ist nicht jedem mittlerweile klar geworden, dass Fußball nur noch Kommerz ist, dass Vereinstreue unter Spielern so selten ist, wie gute Fragen von KMH?

Nachdem sie wiederholt erwähnt, dass die Fans Çalhanoğlu die ganze Sache sehr übel genommen hatten, belegt sie das auch mit ein paar Tweets. Davor sagt sie aber, dass manche einfach nicht gezeigt werden könnten, weil sie unter der Gürtellinie wären und meinte: „Es gibt ein gewisses Niveau, das wir auch halten wollen“. Ich beginne, KMH zu mögen.

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David Fresen

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