zum Hauptinhalt
In der App "Lost Generation" könnt ihr einen Avatar auswählen, der euch seine Lebensgeschichte erzählt.

© promo

Neue App: „Lost Generation“: Schlacht gewonnen? Schulfrei!

Öder Geschichtsunterricht - In der Schule war ich stolz darauf, die Jahreszahlen des ersten Weltkrieges zu kennen. Eine neue App bringt Jugendlichen das Leben der "verlorenen Generation" näher.

Hermann ist 16. Er hat dunkelbraune Haare und Augen, blickt meistens ernst. Er geht auf ein Internat in der Nähe von Aachen, ist sehr ambitioniert und fleißig. Außergewöhnlich ist, dass Hermann sich freut. Und zwar auf den Krieg. Euphorisch, fast martialisch wartet er, bis er nach Frankreich an die Front ziehen kann. Auch wenn es uns unglaublich vorkommt, Hermann Böddinghaus ist kein Einzelfall. Teilweise kann man bestimmt der Propaganda Schuld geben, die Schulfrei verspricht - sobald eine Schlacht gewonnen ist.

Dies ist nicht Herbst 2014, sondern genau ein Jahrhundert früher. Der Erste Weltkrieg beeinflusst jedes deutsche und europäische Leben. Die „verlorene Generation“ bleibt übrig. Immer noch junge, aber traumatisierte und geprägte Menschen, die, wenn sie überleben, gleich in den nächsten Weltkrieg hineinrutschen. Mancher würde sagen, das Timing hätte nicht gepasst.

Über den Ersten Weltkrieg habe ich gelesen - in den Schulgeschichtsbüchern mit den Eselsohren, die mittlerweile schon zum sechsten Mal ausgeliehen wurden. In meiner Klasse war es so, dass wir schon stolz waren die Jahreszahlen von Kriegsbeginn und -Ende zu wissen. Die Zahl der Gefallenen im Ersten Weltkrieg rauschte nur an mir vorbei - etwa 14 Millionen sollen es gewesen sein.

Die Lebensläufe stammen aus Tagebüchern und Briefen

Der Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge kämpft gegen dieses Vergessen an. Sie wollen der heutigen jungen Generation die Gedanken, Gefühle und Schicksale der Jugendlichen von damals näher bringen.

"Auf in den Kampf, mir juckt die Säbelspitze." Junge Männer ziehen in den Krieg.
"Auf in den Kampf, mir juckt die Säbelspitze." Junge Männer ziehen in den Krieg.

© promo

Anlässlich des Volkstrauertags am vergangenen Sonntag ist dafür eine neue App auf dem Markt. „Lost Generation“ thematisiert das Leben der Jugendlichen im ersten Weltkrieg mittels fünf Avatare. Hermann Böddinghaus ist einer davon. Die Avatare haben alle unterschiedliche Schicksale, kommen aus verschiedenen sozialen Klassen, Religionen und Regionen. Der Leiter der Recherche Stefan Nies betont: „Wir wollten weg von den Klischees und alle Schichten berücksichtigen.“ Keiner der Avatare kommt aus Berlin. Der jüdische Ezechiel Hasgall beispielsweise ist in einer Schulklasse mit dem späteren Reichstagspräsidenten und Nationalsozialisten Hermann Göhring, ein anderer Avatar verändert durch den Tod drei seiner Brüder radikal seine Einstellung zum Krieg.

Die Gemeinsamkeit der Avatare ist, dass sie alle wirklich gelebt haben. Aus Tagebucheinträgen, Feldpostbriefen und anderen Dokumenten die die tatsächlichen, individuellen Schicksale der Menschen des Ersten Weltkrieges darstellen, haben sich die Historiker Stefan Nies und Dieter Pfau fünf Lebensläufe rekonstruiert. Das war teilweise auch abenteuerlich - jedenfalls für einen Historiker: „Ein Angehöriger von Ezechiel Hasgall hat uns die wertvollen Dokumente per Post geschickt - da können sich bei einem Historiker schon mal die Nackenhaare aufstellen“, lacht Pfau.

 "Lost Generation meets Smartphone Generation"

Die App hat eine Menge Videomaterial. In insgesamt 120 Minuten lernt man wie wichtig der Glaube für Avatar und Diakonisse Marie war, wenn sie Verwundete behandelte, oder, dass der Student Gavrilo Princip vom Sarajevo-Attentat nicht die Schuld am ersten Weltkrieg trägt. Weiterhin bietet sie eine Europakarte und einen Zeitstrahl an, auf denen die wichtigsten Kriegsereignisse kurz beschrieben und geordnet dargestellt werden.

Im Februar 1918 wird Ernst zur Feldartillerie nach Hannover eingezogen. Im Herbst kommt dann ein Marschbefehl von der Front. Kurz zuvor verliebt er sich in Dorle.
Im Februar 1918 wird Ernst zur Feldartillerie nach Hannover eingezogen. Im Herbst kommt dann ein Marschbefehl von der Front. Kurz zuvor verliebt er sich in Dorle.

© promo

„Lost Generation“ ist für die Freizeit und auch einen abwechslungsreicheren Unterricht geeignet. Empfehlenswert ist die App auch für Diejenigen, die morgens in der U-Bahn sitzen und plötzlich denken: „Mist, Geschichtstest ist heute, habe ich ja voll verpeilt!“ Wer besser verstehen möchte, wie es seinen (Ur-)Urgroßeltern im ersten Weltkrieg erging, kann sich mit „Lost Generation“ ein Bild davon machen.

Neben der App gibt es auch andere digitale Angebote zum Ersten Weltkrieg: Beispielsweise „1914Tweets“. Hier "twittern" Leute von vor 100 Jahren über ihre Erlebnisse an der Front - zum Beispiel in Tagebuchform von dem Soldaten Pauleit.

Die App ist kostenlos im Appstore und Google Playstore erhältlich und auch offline verwendbar. Pädagogisches Material für den Unterricht findet Ihr unter: www.lost-generation.eu.

Das war ein Beitrag unseres neuen Jugendmagazins "Schreiberling". Lust auf mehr? Werdet unsere Freunde auf www.facebook.de/Schreiberlingberlin oder folgt uns auf www.twitter.com/schreiberling. Fanpost und Kritik an schreiberling@tagesspiegel.de

Luzi Wagner

Zur Startseite