zum Hauptinhalt
Beim Einsteigen ist unsere Autorin noch hellwach, fünf Minuten später...

© privat

Schlafforschung: Wenn uns die U-Bahn in den Schlaf wiegt

Die Haltestelle verpennt, über dem Buch eingeschlafen - wird man in öffentlichen Verkehrsmitteln schneller müde? Eine Schlafforscherin hat es uns erklärt.

Es ist ein Uhr nachts und ich warte auf die U-Bahn. Der Bahnsteig ist schummrig erleuchtet, man hört Zugräder quietschen. Meine Gedanken kreisen um Dinge, die erledigt werden müssen und ich fange an, sie in „wichtig“ und „unwichtig“ zu unterteilen. Zur Ablenkung krame ich irgendwann ein Buch aus der Tasche und beginne zu lesen. Als der Zug einfährt, bin ich hellwach. Im Abteil suche ich mir sorgfältig den besten Sitz fernab von seltsamen Gestalten und schlage das Buch wieder auf. Ich habe gerade eine Seite gelesen, als mir auffällt, dass ich gar nicht weiß, worum es auf dieser Seite ging. Meine Augen haben weiter die Worte gesehen, der Kopf jedoch hat sie nicht verarbeitet. Ich gähne.

Mit einem Freund entwickelte ich die Theorie, dass uns die Bahn in den Schlaf wiegt, wenn sie Kurven fährt, weil uns das an müde machendes Babywiegen aus unserer Schnullerzeit erinnert. Jedoch sind unsere Busse und Bahnen ja nicht so gemütlich, dass man sie mit einer Wiege verwechseln könnte.
Thea Herold von der Schlafakademie Berlin hat dafür eine Erklärung: „Wir werden nicht erst nach dem Einsteigen müde, sondern steigen schon müde ein“, sagt sie. „Wenn wir dann sitzen, nutzt unser Körper diese günstige Gelegenheit zum Schläfchen oder zum Power-Nap, einem Tagschlaf.“ Auch die gleichmäßigen Fahrgeräusche auf einer oftmals vertrauten Strecke seien Müde-Macher, und die Muße, die einen beim Blick aus dem Fenster leicht ereilen kann, ebenfalls. „Diese externen Faktoren treffen recht oft auf einen inneren Faktor, der uns beim Fahren einschlafen lässt: Das ist die sogenannte Schlafschuld“, sagt Thea Herold. „Sie entsteht, wenn wir nicht lange genug oder nicht erholsam genug schlafen.“

...ist sie eingeschlafen. Woran liegt das?
...ist sie eingeschlafen. Woran liegt das?

© privat

Meine Eltern reagierten mit Unverständnis auf meine Frage, ob Fahrten in den öffentlichen Verkehrsmitteln schläfrig machen würden. Sie erwiderten, wenn sie beim Fahren müde seien, so wären sie es auch schon davor gewesen. Vielleicht sind Erwachsene besser darin, mit ihren Kräften zu haushalten, als wir? „Junge Leute sind meistens ‚Abendtypen‘ – oft sogar extreme Eulen“, sagt Thea Herold. Das hänge mit unserem Biorhythmus zusammen. Ein Beispiel für unser Eulen-Dasein sei das morgendliche Zur-Schule-Fahren: „Die wenigsten Jugendlichen sind dann schon wirklich wach. Dafür kommen sie abends kaum früh zu Bett.“ Ihre temporäre „Eulen-Natur“ verschiebe den inneren Rhythmus. Der frühe Schulstart verlange außerdem Vielen von uns ab, gegen unsere innere Uhr zu leben.

Ich persönlich kenne auch niemanden, der von alleine um sechs Uhr früh aufspringen und jubelnd in der Schule verschwinden würde, weil seine innere Uhr ihn geweckt hat. Wer also nicht bereit ist oder schlichtweg nicht dazu befähigt, sein Eulendasein zu beenden, wird wohl auch weiterhin erschöpft in der U-Bahn sitzen und gähnen.

Das ist ein Beitrag unseres neuen Jugendmagazins "Schreiberling". Lust auf mehr? Werdet unsere Freunde auf www.facebook.de/Schreiberlingberlin oder folgt uns auf www.twitter.com/schreiberling_. Fanpost an schreiberling@tagesspiegel.de

Helene Köhler

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false