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Meinung: Jugoslawien: Gute Krisen, schlechte Krisen

Es gibt drei Arten ernster Krisen. Erstens das reinigende Gewitter: Da wirkt die Zuspitzung als Katalysator, der die Lösung beschleunigt; das geschieht vorwiegend in Demokratien.

Es gibt drei Arten ernster Krisen. Erstens das reinigende Gewitter: Da wirkt die Zuspitzung als Katalysator, der die Lösung beschleunigt; das geschieht vorwiegend in Demokratien. Zweitens die Krise, die einen Konflikt außer Kontrolle geraten lässt und im Extremfall zu Blutvergießen führt; in den jüngeren Jahren mehrfach im Nahen Osten, auf dem Balkan, aber auch in Indonesien erlebt. Drittens schließlich den Regelfall zwischen beiden Extremen: Krisen, die den Konflikt allmählich zuspitzen, ohne gleich eine Explosion auszulösen. Oder Krisen, die umgekehrt Relikte eines zurückliegenden blutigen Streits sind; sie brechen aus, weil die Lage sich schrittweise normalisiert - woran die Friedensverlierer kein Interesse haben; sie leben von den Spannungen.

Der Balkan erzeugt in diesen Tagen wieder Besorgnis erregende Schlagzeilen, weil sich drei Konflikte gleichzeitig zuspitzen: Bosnien, Kosovo und Serbien. Sie fallen zum Glück alle ins letzte Genre: Relikte auf dem Weg vom Krieg zum Frieden. Dennoch darf man sich damit nicht beruhigen. Selbst wenn jede einzelne Krise, isoliert betrachtet, beherrschbar wirkt - sie hängen alle miteinander zusammen, die Spannungen verschärfen sich gegenseitig. Und die Friedensgegner fühlen sich zu neuen Untaten ermuntert.

In Bosnien drohen kroatische Nationalisten, den Frieden von Dayton aufzukündigen. Bosnien ist weiter das zerbrechlichste Glied in der Kette der Nachkriegsordnungen auf dem Balkan. Aber auch dort haben sich die Verhältnisse zum Besseren entwickelt. Solange Franjo Tudjman das Mutterland Kroatien beherrschte, konnten sich die bosnischen Kroaten der Unterstützung sicher sein und trotz Dayton-Vertrag darauf hoffen, dass das komplizierte bosnische Gefüge mit drei Staatsvölkern - Muslimen, Serben, Kroaten - irgendwann auseinander bricht und sie ihre Gebiete, vor allem die Herzegowina, dem Mutterland anschließen können.

Nach dem Diktatorensterben

Doch Tudjman starb vor einem guten Jahr, seine nationalistische Regierungspartei HDZ zerbrach, die ehemalige Opposition ist seither an der Macht in Zagreb. Die Demokratisierung hat einen Sprung nach vorne getan. Da können die bosnischen Kroaten nicht mehr auf Unterstützung ihrer Separationsträume hoffen, die Zeit arbeitet gegen sie. Die einseitige Aufkündigung der Dayton-Vereinbarung war eine Verzweiflungstat.

Im Kosovo und an der Grenze zu Serbien greift die albanische Untergrundarmee UCK wieder zu den Waffen - anderthalb Jahre, nachdem eine internationale Friedenstruppe zum Schutz der Albaner stationiert wurde. Auch das ist auf eine Wende zum Besseren zurückzuführen, die für die Radikalen eine Verschlechterung bedeutet. In Serbien - zu dem Kosovo völkerrechtlich gehört - herrscht nicht mehr Diktator Milosevic. Die neue demokratische Regierung sucht den Ausgleich mit den Albanern (sowie den Montenegrinern), um zusammenzuhalten, was von der Bundesrepublik Jugoslawien übrig ist: Serbien, Kosovo, Montenegro. Schlecht für die UCK. Für das Ziel eines unabhängigen Kosovo hatte die Welt nur Verständnis, solange in Belgrad ein Schurke regierte.

In Serbien schließlich könnte es Milosevic nun doch bald an den Kragen gehen: weil die neue Regierung ihm in Belgrad den Prozess macht oder ihn an das Kriegsverbrechertribunal ausliefert. Seine Anhänger wollen das mit Gewalt verhindern, drohen mit Bürgerkrieg. Auch diese Krise wurde erst möglich, weil sich die Lage verbessert hat.

Mit Mut und Augenmaß kann es gelingen, dass die drei Spannungsherde sich nicht gegenseitig destablisieren. Das würde die Friedensgegner von Bosnien über Serbien bis Kosovo entmutigen, wenn ihre Provokationen auch noch zu einer Stabilisierung beitrügen. In Bosnien und Kosovo muss die internationale Verwaltung ihre Vollmachten nutzen: den Radikalen die politischen Mandate entziehen und ihren Söldnern mit Waffengewalt entgegentreten. Und in Belgrad die neue Regierung ermuntern, mit Milosevic rasch reinen Tisch zu machen. Dann würde aus drei Krisen vom Typ 3 am Ende noch die Zuspitzung vom Typ 1, die die Lösung beschleunigt.

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