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Die Internetseite Isharegossip.com ist äußerst umstritten.

© dpa

Kalle hat verstanden: Irgendwoher muss das Mobben kommen

Matthias Kalle hat in dieser Woche viel über Cybermobbing gelesen. Er hat sich auch die Grundschule um die Ecke angeschaut. Um den Zusammenhang herzustellen, wird er sich die Eltern der Schulkinder noch einmal genauer anschauen.

Damals, als ich eingeschult wurde, war Helmut Schmidt Bundeskanzler und Ronald Reagan US-Präsident. Der Musiksender MTV startete sein Programm, Elias Canetti bekam den Literaturnobelpreis, der Hit des Jahres war der so genannte Ententanz und meine Grundschule wurde nicht für mich ausgesucht, sie war für mich da, denn selbstverständlich kam ich auf die Schule, die am nächsten dran war zu unserem zu Hause. Vier Jahre später, als ich auf ein Gymnasium wechselte, hing die Entscheidung am Standort: Wohin fährt der Bus wie lange und kommt man da auch irgendwie mit dem Fahrrad hin und wieder weg? Das waren die Fragen. Andere Fragen gab es nicht. Alles andere war egal.

In dieser Woche veranstaltete eine Grundschule bei uns im die Ecke einen Tag der offenen Tür. Da bin ich mal hingegangen. Wollte mal gucken. Einfach so. Habe ja gar keine Ahnung von heutigen Grundschulen.

Die Türen waren tatsächlich alle offen – in einige schaute ich rein: Den Deutschunterricht einer zweiten Klasse fand ich toll, den Matheunterricht einer zweiten Klasse fand ich anspruchsvoll, den Englischunterricht einer ersten Klasse fand ich interessant, den Arabischunterricht einer dritten Klasse fand ich ambitioniert. Als große Pause war, ging ich auf den Hof. Die Sonne schien und ich freute mich, dass der Hof groß war und die Kinder spielten und tobten und schrien und in einigen Spielen erkannte ich die Pausenhofspiele meiner Kindheit.

Während ich da stand und schaute, hörte ich, wie einige Eltern die Lehrer verhörten: wie das denn klappe mit dem Arabisch und ob Französisch nicht besser wäre und wie viel Prozent der Kinder denn auf ein Gymnasium gehen würde und ob denn das Essen aus Bioprodukten bestände und welche Zusatzqualifikationen die Lehrer eigentlich hätten.

Als es klingelte, ging ich wieder ins Gebäude, ich wollte mir unbedingt noch das Unterrichtsfach „Digitale Medien“ anschauen, denn ich hatte keine Ahnung, was „digitale Medien“ eigentlich sein sollen. In einem Klassenraum mit neuen PCs sagen und Jungs und Mädchen und stellten eine Präsentation zusammen. Sie mussten im Internet zu einem Thema recherchieren, die meisten kopierten den ersten Absatz aus Wikipedia in ein Word-Dokument, vielleicht wird eines dieser Kinder später mal Karriere in der Politik machen.

Auf meinem Weg aus der Schule schaute ich noch einmal links und rechts in die Klassenräume – die Lehrer, die ich sah, waren alle relativ jung, und ich wunderte mich ein bisschen, dass mir dieser Umstand und der Pausenhof am besten gefielen.

Auf der Arbeit las ich dann sehr viel über die Internetseite isharegossip, auf der Schüler Mitschüler beleidigen und ihnen drohen. Manchmal wird gefragt, welches das hässlichste Mädchen der Schule sei – auf so eine Frage gibt es dann unzählige Antworten. Die Seite ist im Moment deshalb ein Thema, weil am vergangenen Wochenenden 20 Schüler einen Mitschüler krankenhausreif geprügelt und getreten haben, weil der seine Freundin vor den Beleidigungen auf dieser Seite beschützen wollte.

Unser Kolumnist Matthias Kalle.
Unser Kolumnist Matthias Kalle.

© Privat

Als ich all das las, bekam ich wahnsinnig schlechte Laune und plötzlich dachte ich dann tatsächlich: früher war alles besser, aber das dachte ich nur ein paar Sekunden, weil so ein Gedanke zu nichts führt und er doch ein bisschen langweilig und albern ist.

Am Abend blätterte ich in einem Buch des großen dänischen Familientherapeuten Jesper Juul, ich blieb an einem Absatz hängen, in dem es darum geht, das Kinder immer kooperieren, weil sie von den Erwachsenen akzeptiert werden wollen. Die Kooperation führt auch dazu, dass Kinder nachahmen, was ihnen die Erwachsenen vorleben, schließlich sind sie die Vorbilder, es ist die Erwachsenenwelt, in der Kinder alle Geheimnisse vermuten, und da dachte ich dann, dass das Lästern und das Mobben und das Beleidigen ja auch irgendwoher kommen muss.

Ich glaube, ich fand die Schule ganz gut – der Pausenhof, die Lehrer, vor allem aber ist sie gleich um die Ecke. Ich würde mir aber ganz gerne noch mal die Eltern genauer anschauen.

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