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Kameraüberwachung Reeperbahn: Gesicht zeigen!

Die höchsten Verwaltungsrichter in Leipzig haben die Kameraüberwachung auf der Hamburger Reeperbahn als zulässig und verfassungskonform erachtet. Film ab! heißt es also weiter in rund 30 deutschen Städten.

Es ging diesmal nicht gegen Facebook oder um Staatstrojaner oder Funkzellendaten. Das könnte erklären, warum ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von vergangener Woche etwas unterhalb des Radars der professionellen Warner und Mahner in Sachen Datenschutz geraten war. Die Videoüberwachung öffentlicher Plätze, früher einmal der klassische Auslöser für Big-Brother-Angstzustände, taugt nicht mehr recht für den Protest der jungen Netzgesellschaft; schließlich filmt sie sich ja selbst den halben Tag, stellt es dann bei Youtube ein oder verteilt es an hunderte „Freunde“. So wurde ohne größeren Aufschrei hingenommen, dass die höchsten Verwaltungsrichter in Leipzig die Kameraüberwachung auf der Hamburger Reeperbahn als zulässig und verfassungskonform erachtet haben.

Film ab! heißt es also weiter in rund 30 Städten, in denen Videos an den sogenannten Kriminalitätsschwerpunkten zur ermittlerischen Praxis zählen. Wer die Plätze und Straßen kreuzen will, wird zwar gewarnt. Aber wo die Kameras montiert sind, weiß man nicht, ob sie gerade aufnehmen, weiß man auch nicht. Und dass ein gestresster Großstadtbürger die Schilder wahrnimmt, ist ohnehin fraglich. Die Daten, die der Staat dann aufnimmt, sind sensibel; keine abstrakten Zahlenfolgen, sondern Menschen mit Gesichtern, Kleidung und ihrer persönlichen Habe.

Die Hamburger Kiez-Anwohnerin, die in Leipzig verlor, hatte ihre persönliche Kamera mit ausholendem Schwenkbereich gleich gegenüber. Es lässt auf beachtliche Indolenz der örtlichen Polizei schließen, dass ihr die Anwohner der Meile so egal waren. Immerhin erreichte die Frau in der Vorinstanz, dass ihre Fenster und ihr Eingangsbereich geschwärzt werden müssen; die Polizei stellte ihre Dauerbewachung daraufhin ein. Es lohne ja nicht mehr, meinte man. Aber man behielt sich vor, wieder einzuschalten.

Es lohnt meistens nicht. Kameras sind Straftätern immer wieder auf erstaunliche Weise egal. Das trifft auf den typischen Banküberfall ebenso zu wie auf junge Schläger, die in Berliner U-Bahnhöfen Menschen zusammentreten. Ängstlichen vermitteln sie trügerische Sicherheit. Passt wirklich jemand auf? Schickt mir jemand Hilfe, wenn etwas passiert? Schließlich: Wie fühlen sich eigentlich Anwohner, denen man auf diese Weise mitteilt, was von ihrem Kiez zu halten ist?

Der Bund hat die Überwachung nie geregelt, weshalb es Länder taten, als Gefahrenabwehr, als „Strafverfolgungsvorsorge“. Die Leipziger Richter fanden das in Ordnung, juristisch bleibt dieser Weg umstritten. Die Frau mit der Reeperbahn-Wohnung erwägt nun mit ihrem Anwalt, eine Verfassungsbeschwerde zu erheben. So könnten die Länder-Gesetze doch noch gekippt werden. Zwingend ist das zwar nicht, doch unabhängig davon: Die Kamera-Überwachung öffentlicher Plätze ist erlaubt – aber aus der Mode.

Von Jost Müller-Neuhof

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