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Meinung: Kartell der Arbeitsplatzbesitzer

Der Niedriglohnsektor muss reformiert werden, damit mehr Menschen Arbeit haben

Von Ursula Weidenfeld

Die Arbeitslosenzahlen sind nicht gestiegen – und sie sind auch nicht richtig gesunken. Den Kanzler treffen die Augustzahlen nicht so hart wie erwartet, weil sie Raum lassen: Raum für Erklärungen, für Prognosen und Versprechen. Genug Luft für den Dreisatz: Die Lage ist nicht gut. Aber der Aufschwung und die Besserung auf dem Arbeitsmarkt sind nah. Und: Wir tun jetzt was und reformieren den Arbeitsmarkt, damit alles bald noch besser wird.

Das kann man glauben. Es spricht sogar viel dafür, dass der Kanzler es diesmal wirklich ernst meint – wenn er wieder gewählt wird. Immer weniger spricht allerdings dafür, dass die Gleichung aufgeht – egal, ob er wieder gewählt wird oder die Union künftig das Sagen hat. Denn die Probleme auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind nur zum kleinsten Teil konjunkturbedingt. Und weil ein Wirtschaftswachstum von rund 2,5 Prozent nicht in Sicht ist, das gebraucht würde, damit tatsächlich neue Stellen entstehen könnten, ist es falsch, auf die Konjunktur zu hoffen.

Die Arbeitslosenzahlen sind zu rund zwei Dritteln hausgemacht. Nicht nur von der Schröder-Regierung, in vier Jahren kriegt man das nicht hin. Aber verstärkt von der Schröder-Regierung – und der verkehrten Annahme, dass alle dasselbe Interesse haben: die Arbeitslosenzahlen herunter zu bringen. So ist es nämlich nicht. Die Arbeitsplatzbesitzer zum Beispiel haben nach wie vor kein Interesse daran, den Anderen wieder Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Und bisher haben sie ziemlich erfolgreich verhindert, dass ihr Kartell geknackt wird. Im Gegenteil: Mit vergleichsweise hohen Arbeitslosengeldern und ausgefeilten Kündigungsschutzvorschriften haben sie sich von den Arbeitslosen das Fernbleiben vom Arbeitsmarkt erkauft.

Wenn nämlich die Arbeitslosen tatsächlich – wie das der Arbeitsmarktreformer Peter Hartz vorschlägt – als Leiharbeiter aus Personalservice-Agenturen wieder auf den ersten Arbeitsmarkt stürmen, dann werden sie das Lohngefälle und die bisher selbstverständlichen Standards auf diesem Arbeitsmarkt ordentlich ins Rutschen bringen. Ins Rutschen bringen müssen – denn sonst bekommen sie keinen Dauerarbeitsplatz, sonst können keine neuen Jobs entstehen. Das aber heißt: Wenn die Bundesregierung jetzt mit IG Metall und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi Tarifverhandlungen für diese Agenturen aufnimmt, dann muss sie Löhne verhandeln, die im Niveau weit unter denen liegen, die heute bezahlt werden. Sie muss den Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer „neutralisieren“, wie Peter Hartz sagt, damit ältere Arbeitnehmer wieder eine Chance haben auf dem Arbeitsmarkt. Und sie muss Arbeitnehmerrechte antasten. Auch wenn sie das nicht will.

Das zentrale Problem des deutschen Arbeitsmarktes liegt im Niedriglohnbereich. In allen anderen Gruppen, bei den gut und Hochqualifizierten, hat Deutschland dasselbe Beschäftigungsniveau wie die anderen Industrieländer. Nicht aber bei den schlecht Bezahlten. Alle Bundesregierungen scheuten bislang diesen Konflikt; sie haben auf diese Weise dafür gesorgt, dass viele Unternehmen in Deutschland lieber eine Kehrmaschine kaufen als jemanden zum Kehren einzustellen. Dass sie lieber einen Pfandflaschenautomaten installieren, statt einen Arbeiter für das Sortieren leerer Flaschen zu beschäftigen. Und dass sie lieber Pflegekräfte aus Polen einsetzen als arbeitslose Pflegerinnen aus Deutschland zu bitten.

Wer tatsächlich will, dass wenigstens die hausgemachten Gründe für die Arbeitslosigkeit verschwinden, der darf heute nicht nur etwas versprechen. Er muss sich auch zu etwas bekennen: dass er bei den versprochenen Reformen den Konflikt um diese Besitzstände wagen wird. In Deutschland – und in Bayern auch.

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