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Geschenke kaufen müssen Sie eh: Matthias Kalle versucht deswegen einfach mal, Ihnen seine Tipps anzudrehen.

© dpa

Kauf-Ratgeber: Kalles wärmste Empfehlungen

Gerade vor Weihnachten werden uns von allen Seite bestimmte Dinge ans Herz gelegt, damit wir sie kaufen. Nur Kolumnist Matthias Kalle wird nie um seine Meinung gebeten. Seine Empfehlungen bekommen wir trotzdem.

Das ist die Zeit, in der auf den Kulturseiten der Tageszeitungen Empfehlungen gegeben werden: Bücher, CDs, DVDs, die von den Kollegen ans Herz gelegt werden. Diese Seiten sind meistens tabellarisch schön aufgemacht, das bietet Orientierung. Die Empfehlungsgeber bemühen sich um eine knappe, klare, schöne Sprache, was in den meisten Fällen auch gelingt. Wenn ich diese Seiten lese, bin ich immer ein bisschen traurig und ein bisschen neidisch.

Ich wurde noch nie gefragt, ob ich da mal mitmachen will. Weder vom „Tagesspiegel“ noch von der „Zeit“, auch nicht von „Neon“, dabei werde ich doch von denen bezahlt, die könnten theoretisch von mir verlangen, was sie wollen. Meine Empfehlungen jedenfalls wollen die nicht. Vielleicht denken die, einer wie ich könne nichts so richtig empfehlen. Möglicherweise glauben die, ich fände alles nicht empfehlenswert.

Ein Irrtum! Gibt viel, was ich toll finde! Und ich habe ja zum Glück diese Kolumne, da kann ich ja machen, was ich will. Im Prinzip jedenfalls. Jetzt will empfehlen, loben, Kaufanreize bieten. Also!

Ein Buch, das begeistert: „Das Phantom des Alexander Wolf“ von Gaito Gasdanow. Das dünne Buch ist von 1947, ich habe davon nie etwas gehört bis ich die Hymne von Maxim Biller in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ gelesen habe. Und weil Biller meistens Recht hat, habe ich das Buch verkauft, in einer Nacht gelesen und am nächsten Morgen war ich nicht mehr derselbe. Obwohl ich 37 Jahre alt bin, stehen da Dinge über die Liebe und das Leben drin, von denen ich nichts geahnt habe – beängstigende, tröstende, verblüffende.

Ein wieder entdecktes Buch: „Sommer des Lebens“ von J.M.Coetzee. Habe ich vor drei Jahren eher so weg gelesen, per Zufall noch mal reingeblättert und nicht mehr aufgehört. Wie Coetzee seine eigene Biografie anhand von Frauen, die ihn ein Stück seines Weges begleitet haben, auffächert, ist spektakulär und beweist wieder einmal: Wie wir in das Leben von anderen treten, spielt keine Rolle – entscheidend ist, wie wir es wieder verlassen.

Die DVD des Jahres: „Game of Thrones“, die erste Staffel. Man denkt vorher: „Mhm, Fantasy-Quatsch halt, die Lieblingsserie von Piratenpartei-Mitgliedern. Dann guckt man die erste Folge und denkt: Ah, wie geht es weiter? Warum sind die alle so durchtrieben? Wer ist hier eigentlich der Gute, wer der Böse? Wieso zaubert keiner? Die Serie ersetzt ein komplettes Studium des Standardwerkes „Der Fürst“ – immer dran denken: Wer ein Urteil spricht, muss es auch selbst ausführen.

Ein Sachbuch, das verblüfft: „1913“ von Florian Illies. Unglaublich – was da alles los war, wer da so alles was gemacht hat. Mit dem Wissen, was 1914 passiert ist, hängt über dem Buch eine große Melancholie, die der Stilist Illies aber nie ins Unangenehme kippen lässt. Riesensauerei, dass der Autor im Moment keinen Bock mehr auf Journalismus hat.

Das Lied des Jahres: „Champion Sound“ von Crystal Fighters. Der Hit einer englisch-spanischen Electronic-Band ist politisch gesehen eine dreiminütige Feier der europäischen Idee. Abgesehen davon, dass eine Zeile wie „I wanna find my girl, and love will be amazing“ ein ganz großes Versprechen ist. Ach so: Dann hörte ich zufällig im Internet, wie Bruce Springsteen vor einigen Jahren mal seine Version des Suicide-Klassikers „Dream, Baby, Dream“ gesungen hat. Kann man glaub ich nicht kaufen. Ist aber wunderschön.

Album des Jahres: „Solo Piano 2“ von Chilly Gonzales. Wer den Mann vor kurzem im Heimathafen Neukölln gesehen hat, fand es wahrscheinlich ganz lustig, als er sich selbst ein musikalisches Genie nannte. Wer die Platte hört, findet es nicht mehr lustig, sondern richtig.

So. Was vergessen? Egal. Denn wenn man so eine Liste schreibt, dann hat das tatsächlich auch therapeutische Wirkung, denn plötzlich besteht das Jahr 2012 nur noch aus Highlights, aus großer Kunst, aus Meisterwerken. Wahrscheinlich würde es uns allen besser gehen, wenn es solche Listen ab sofort monatlich gäbe. Vor allem natürlich jenen, die sie aufstellen.

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