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Meinung: Kaufen? Kaufen!

Die verlängerten Ladenöffnungszeiten verändern unser Leben – ein wenig

Was kaufe ich heute? Natürlich ist das Tauschen älter, kulturhistorisch gesehen, doch evolutionär war das Kaufen ein größerer Erfolg. Affen kaufen nicht. Und so können alle Menschen in Deutschland ab heute vier Stunden länger darüber nachdenken, bevor sie kaufen gehen: Weil das neue Ladenschlussgesetz den Geschäften erlaubt, sonnabends bis 20 Uhr aufzubleiben.

Das Gesetz ist eine weitere Niederlage für die Ladenhüter der Nation, die Gewerkschaften, und eine weitere, zaghafte Liberalisierung der deutschen Wirtschaftsstrukturen. Lange sah eine asketische Linke im materiellen Konsum vor allem Ersatzbefriedigung, keine Erfüllung wahrer Wünsche. Diese Verachtung der Kauflust war nicht frei von Selbstgefälligkeit: der toskanische Bauernhof galt als würdigerer Erwerb als der tiefer gelegte GTI. Inzwischen sind die Parolen der rot-grüne Regierung zu Recht einfacher, unideologischer: kaufen ist gut, durch Konsum entsteht Arbeit, und, angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftslage ein wenig ungeduldig: Kauft gefälligst mehr.

Das also nun vier Stunden länger in der Woche. In diesen Zeiten der blinden Schaufenster ist jede (noch) geöffnete Tür ein Gewinn, und im besten Fall springt dabei für den Arbeitsmarkt sogar mehr als nur die eine oder andere Teilzeitbeschäftigung heraus. Unbürokratisch kann der kleine Schuhladen nun entscheiden, ob er auch abends auf Kunden setzt, der Kunde kann entscheiden, ob er zur „ran“-Zeit überhaupt einkaufen will. Der Konsumentenstrom wird weiter entzerrt und kanalisiert, die Innenstädte entlastet und gleichzeitig belebt. Der Staat schafft den sich ständig verändernden Lebensformen mehr Spielraum.

Die im Bundestag mit sehr knapper Mehrheit beschlossene Verlängerung der Ladenöffnungszeiten ist ein gesellschaftspolitisches Symbol: Für die Bereitschaft, auf den Verzicht zu verzichten. Diese vier Stunden, daran sollte kein Zweifel bestehen, sind ein weiterer Schritt zur totalen Freigabe der Öffnungszeiten, wie es die Bundesverbraucherzentrale und die Opposition bereits fordern. Und mit jeder Stunde, die man länger einkaufen kann, wird das Leben in Deutschland poröser. Am Samstag gehört heute nicht mehr Vati den Kleinen, wie die Gewerkschaften lange gefordert haben, sondern nur seine Geldbörse. Shoppen kann schon jetzt jedes Kind. Das Wochenende bietet mehr Möglichkeiten, mehr Verführungen, weniger Ruhe, weniger Struktur. Was Arbeits-, was Freizeit sein kann, verwischt. Ob man es Liberalisierung nennt oder soziale Verwahrlosung – auch eine geringfügig verlängerte Öffnungszeit entkommt nicht dem modernen Dilemma: dass der Gewinn von individueller Freiheit an den Verlust gesellschaftlicher Strukturen gekoppelt ist.

Gleichzeitig bleiben auch Deutschlands neueste Kaufgesetze einem archaischen Prinzip verpflichtet: Dass man nur einkaufen kann, wenn der Laden offen ist. Längere Einkaufszeiten verändern die Welt nicht mehr – weil die Welt längst eine andere ist. In den nächsten Jahren wird mit einem Anstieg des Internethandels um 30 Prozent pro Jahr gerechnet. Das World Wide Web ist ein Megashop, der sieben Tage in der Woche und 24 Stunden am Tag geöffnet hat. Ein Paradies für die Kaufgeilen, ohne Verkäufer, ohne Interaktion von Mensch zu Mensch.

Vier Stunden mehr zum Einkaufen. Mehr Zeit für Wurst und Brot, für CDs und Slipper, für Socken, für Unterhemden, für das Regal, die Heckenschere, für das Buch. Und weniger Zeit für den Rest.

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