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Kaukasus-Konflikt: Außenpolitik ist kein Abenteuerspielplatz

Unser natürlicher Partner Russland muss Kritik ertragen können, meint Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

Beginnt ein neuer Kalter Krieg? Gewiss nicht, aber die Lage ist gefährlich genug. Sie hat schon Eigendynamik und kann deshalb leicht außer Kontrolle geraten.

Wie das geht, hat die völlig unverständliche georgische Militäraktion in Südossetien gezeigt. Präsident Bush und Bundeskanzlerin Merkel haben die russische Reaktion darauf unverhältnismäßig genannt, das heißt im Grunde berechtigt, in Art und Ausmaß überzogen. Nato und EU reagierten unterschiedlich. Die Nato hatte keine Zeit für einen Nato-Russland-Rat – trotz der Unverhältnismäßigkeit der russischen Reaktion. Sie hat den Nato-Russland-Rat suspendiert, obwohl er doch auch für solche Entwicklungen geschaffen wurde. Dass Moskau daraufhin die militärische Zusammenarbeit aussetzt, ist eine neue Stufe der Eskalation. Soll das nun so weitergehen und geht es allein um Georgien?

Die viel gescholtene EU hat sofort das Richtige getan. Ratspräsident Sarkozy reiste mit seinem Sechspunkteplan nach Moskau und nach Tiflis, ermutigt und unterstützt von der Bundesregierung. Das Dringlichste musste die Beendigung der Kampfhandlungen sein und der Rückzug Russlands aus Kerngeorgien. Der Sechspunkteplan schuf die Grundlage. Seine strikte Einhaltung wird zum Test für alle Beteiligten, auch für Russland. Sarkozy sollte jetzt von Moskau und Tiflis als Wächter über seine Einhaltung akzeptiert werden. Der Sondergipfel der EU muss daran gemessen werden, ob er eine gemeinsame Position formuliert und ob er den Weg aus der Krise weist.

Es wäre zu einfach, Georgien isoliert zu betrachten. Das Problem ist viel breiter angelegt. Es geht um das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland. Leider ist es auch ein Problem des Westens selbst. Nicht nur transatlantisch, sondern auch innerhalb der EU. Am Ende des Kalten Krieges wollten Europa und die USA, vor allem Bonn und Washington ein neues Verhältnis mit Russland. Durch Vertrauensbildung und Kooperation sollten die strategischen Veränderungen ohne Brüche möglich werden, die sich aus dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Warschauer Paktes ergaben. Mit Bush senior und Baker waren wir uns einig, dass der Partner Moskau von großer Bedeutung für die europäische und globale Stabilität ist.

Wird danach immer noch gehandelt? Was muss man davon halten, wenn auf amerikanisches Drängen ein so wichtiger konventioneller Rüstungsbegrenzungsvertrag, wie der KSE-Vertrag bis heute nicht ratifiziert ist. Warum laufen Abrüstungsverträge im Nuklearbereich aus und wie steht es um die nukleare Abrüstung, die Realpolitiker wie Kissinger, Shultz, Perry und Nunn verlangen. Die Einheit des Bündnisses ist unverändert zentral. Die Einteilung in alte und neue Europäer, bilaterale Alleingänge, wie die Aufstellung von Raketenabwehrsystemen am Ost- rand des Bündnisgebietes untergraben die Einheit des Bündnisses. Beide US-Präsidentschaftskandidaten wollen das Verhältnis zu Europa wieder partnerschaftlich gestalten. Sie haben offensichtlich das Problem erkannt.

Die Folgen von Alleingängen aber müssen alle tragen. Wie so etwas weitergeht, sieht man jetzt bei der strategischen Raketenabwehr, die zum Risiko für die strategische Stabilität werden kann, kommen Patriotraketen und andere Rüstungsgüter hinzu. Wir wollen keinen neuen Rüstungswettlauf. Rüstungskontrolle und Abrüstung sind integrale Bestandteile der Nato-Sicherheitspolitik.

Russland ist nicht unser natürlicher Gegner, sondern unser natürlicher Partner. Eine Reihe von Konflikten können nur mit Russland gelöst werden. Aber auch Russland muss erkennen, dass wir gemeinsame Interessen haben. Zur Partnerschaft gehört, dass Russland Kritik an seiner inneren Entwicklung ertragen muss, wie an den Defiziten bei der Erfüllung des Sechspunkteplans und wie an Parlamentsbeschlüssen, die einseitig die territoriale Integrität Georgiens in Frage stellen.

In West und Ost sind jetzt Staatskunst, Verantwortung und Augenmaß verlangt. In den kältesten Phasen des Kalten Krieges haben wir weitergeredet und weiterverhandelt – mit Erfolg. Außenpolitik ist kein Abenteuerspielplatz!

Der Autor war von 1974 bis 1992 Außenminister.

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