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Meinung: Kein Leben im Konjunktiv

Von Tissy Bruns

Die Debatte ist überfällig, welcher Integrationsbeitrag von den hier lebenden Muslimen erwartet werden muss. Völlig überflüssig ist dagegen die Frage, ob es ein Fehler gewesen ist, in den 60er Jahren die Gastarbeiter ins Land zu holen. Wir leben nicht im Konjunktiv, im Reich des „hätte, könnte, sollte“, in das wir uns so gern zurückziehen, wenn es um die Einwanderer geht. Die Zuwanderung in die Bundesrepublik war und ist begleitet von zwei Varianten der Realitätsflucht, der Lebenslüge und der Schönfärberei. Die langlebige Lebenslüge, wir seien kein Zuwanderungsland, war nur aufzubrechen durch die latente Schönfärberei über die multikulturelle Gesellschaft. Es ist ein Gewinn für das ganze Land einschließlich der Zuwanderer, dass die Lebenslüge im Lager der Union überwunden, die Schönfärberei im rotgrünen Milieu an Grenzen gestoßen ist.

Nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen haben sich die politischen Lager auf den Boden der Tatsachen begeben: Zuwanderung findet nicht nur statt, wir brauchen sie sogar. Sie ist aber auch anstrengend und konfliktgeladen, und umso mehr, je weniger sie gesteuert wird. Der bitteren Entwicklung in den Niederlanden verdanken wir eine Chance: Die Konflikte nicht länger unter den Teppich zu kehren, sondern auszutragen, bevor sie uns wirklich um die Ohren fliegen. Helmut Schmidts fiktive Gastarbeiterfrage hat dagegen eine Kontroverse eröffnet, bei der sich alle Beteiligten wieder mit erkennbarer Wonne in den alten Prinzipialismus stürzen. Das ist bequem. Und kostet viel weniger Mut als die schlichte Frage, wer eigentlich dafür verantwortlich ist, wenn sechsjährige Mädchen, die in Berlin oder Frankfurt geboren sind, so schlecht deutsch sprechen, dass sie vom ersten Schuljahr an ohne Chancen sind.

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