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Meinung: Kein Schiff muss kommen

Deutschland ist auf den Wettbewerb um qualifizierte Arbeit nicht eingestellt

Reden wir über Arbeitslosigkeit in Deutschland. Genauer gesagt: Reden wir über jene Arbeitslosigkeit, die erst noch kommt, die uns wahrlich bedroht.

Um dies tun zu können, müssen zwei Mythen entlarvt werden. Der erste Mythos lautet: Die Bundesrepublik ist bedroht, weil immer mehr deutsche Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern. Der zweite Mythos lautet: Durch den „Wettbewerb um die klügsten Köpfe“ holen wir allemal wieder herein, was andernorts verloren geht.

Der erste Mythos ist gerade in der Variante der „Patriotismus-Debatte“ durchgespielt worden. Die SPD hegt den latenten Verdacht, die Industrie wolle sich an der ungeliebten rot-grünen Regierung rächen, indem sie eine Kampagne startet. Eine, die den Wegzug aus Deutschland empfiehlt – für jeden, der kostengünstig produzieren will. Wer so denkt, dem droht die SPD das Ankleben des Etiketts „vaterlandslos“ an.

Ist Deutschland bedroht, wenn Autobauer Karosserieteile in der Slowakei stanzen lassen? Nein, hofft die Republik, denn dies sichere ja den Job des Chefplaners daheim. Dieses Argument ist eines von vorgestern. Es blendet aus, dass der eigentliche Verlust an Arbeit, der uns bedroht, nicht der im Billiglohnbereich ist. Wenn Gerhard Schröder sagt, in diesem Einfach-Bereich könnten wir mit Osteuropa nicht mithalten, dann hat er Recht. Wenn Wolfgang Clement sagt, bestimmte Sektoren seien in Deutschland einfach nicht zu halten, hat er ebenfalls Recht. Was beide verschweigen: Die Annahme, durch die Verlagerung einfacher Fabrikation werde so viel Geld eingenommen, dass die teuren Jobs in Deutschland zu halten seien, stimmt täglich weniger. Denn auch teure Jobs sind nicht statisch.

Die Digitalisierung von Daten wird immer einfacher. Und ihre Übermittlung immer billiger. Im Internet kostet die Telefonminute nach Kanada oder Indien einen Cent. Beide Trends, die Digitalisierung und die Senkung der Kosten für Datenübermittlung, werden anhalten. Dies führt zu jenem Phänomen, das „der Tod der Distanz“ genannt wird. Und diese distanzlose Arbeitswelt stellt jene Realität dar, die in Deutschland bisher kaum zur Kenntnis genommen wird.

Buchhaltung für einen Ludwigsburger Maschinenbauer mit 900 Mitarbeitern – problemlos in Irland zu machen. Juristischer Schriftverkehr für eine Großkanzlei mit Geschäftskunden in Düsseldorf – problemlos in Tschechien zu schreiben. Die Simulation für Siemens-Kraftwerke programmieren – problemlos in Indien zu leisten. Digitalisierte Diagnostik-Ergebnisse aus Röntgengeräten und Kernspintomografen analysieren – problemlos in Singapur möglich. Sprache und Rechtssysteme setzen dem gewisse Hindernisse, doch gewiefte Softwareanbieter sehen darin nur eine weitere Herausforderung.

Was also in Wirklichkeit droht, ist nicht der Verlust von Arbeit in der industriellen Fertigung, sondern der Verlust von Arbeit im mittleren und höheren Qualifikationsniveau. Genau das ist zum Hauptthema des US-Wahlkampfes geworden.

Wir lügen uns aber noch an einer zweiten Stelle in die Tasche. Seit dem Angebot namens Green Card und dem Feilen am Zuwanderungsgesetz hoffen wir auf den Zuzug der Hirn-Stars und Jung-Professoren. Der Tod der Distanz bedeutet aber auch für diese Höchstqualifizierten, dass es kaum mehr einen Anlass gibt, die eigene Heimat, Kultur und Sprache gegen das kalte Deutschland einzutauschen. Wer diese klugen Köpfe braucht, findet sie in Warschau, Schanghai oder Bangalore. Und zahlt ihnen weit mehr als ortsüblich, aber deutlich weniger als in Deutschland. Wer „outsourcen“ will, dem winken hier viel höhere Effizienz-Margen als in der einfachen Fertigung.

Die „New York Times“ hat die Folgen so beschrieben: „Einige sehr gut ausgebildete Amerikaner mit hohem Gehalt werden entweder ihren Job verlieren, auf Einkommen verzichten müssen oder Zeitarbeitskräfte mit eingeschränkter Krankenversicherung werden.“ Dies gilt ebenso für viele Deutsche.

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