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Meinung: Kein Weg zurück in das Vergessen

Die Hilfe für Opfer sexuellen Missbrauchs muss verstetigt werden

V iele wunderten sich, dass sie mit dem Leben nicht klarkommen und ahnten die Ursache dafür nicht. Andere wussten, was ihnen Väter und Onkel, Priester und Lehrer angetan hatten und schwiegen trotzdem. Bis vor einem Jahr. Da kam alles hoch. Alte Wunden brachen auf. Schmerz, Wut und Hilflosigkeit suchten sich eine Bahn. So wie sich ein Kessel nicht mehr flicken lässt, wenn er lange unter Druck stand und explodiert, so lassen sich Erinnerungen nicht einfach verdrängen, wenn sie einmal da sind. Sie lassen sich auch nicht abstellen, nur weil die Öffentlichkeit mit anderen Themen beschäftigt ist.

Was für Christine Bergmann, die Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, mit einer Pressekonferenz am Dienstag seinen Abschluss fand, hat für viele Betroffene erst begonnen: die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

Die katholische Kirche hat mittlerweile 300 Männern und Frauen Wiedergutmachung gezahlt, Papst Benedikt XVI. hat sich bei seinem Besuch in Deutschland mit einer Handvoll Missbrauchsopfern getroffen. Die große Geste blieb aus.

Lehrer öffentlicher und privater Schulen sind gehalten, sich fortbilden zu lassen und zu lernen, wie man Anzeichen für Missbrauch erkennt. Aber schon in Sportvereinen wird das Thema nach wie vor nicht sonderlich ernst genommen.

Wir wissen jetzt, wo es bei Hilfsangeboten mangelt: Auf dem Land fehlen Beratungsstellen weitgehend, für Männer und Migranten gibt es auch in den Städten zu wenig. Ob sich das ändern wird, ist fraglich. Christine Bergmann hat ein Jahr lang gemahnt und gefordert. Aber sie ist nicht der Typ, der mit der Faust auf den Tisch haut. Manche ihrer Empfehlungen an den Runden Tisch der Bundesregierung gegen sexuellen Kindesmissbrauch wurden bereits auf unterster Ebene abgeschmettert. Wer zum Beispiel vom Onkel oder Vater vergewaltigt wurde, bekommt wohl keine Entschädigung.

Bergmann hatte sich auch gewünscht, dass das, was die unabhängige Clearingstelle entscheidet, für die Institutionen verbindlich ist. Nun sollen sie sich lediglich daran „orientieren“. Die Auseinandersetzung mit dem Gesundheitsministerium und den Krankenkassen, inwieweit künftig neue Therapieformen übernommen werden können, müssen noch geführt werden. Auch hat sich nichts daran geändert, dass das Opferentschädigungsgesetz nur Fälle berücksichtigt, die in den alten Bundesländern nach 1976 passiert sind und in den neuen nach 1990.

Und doch war Bergmanns Arbeit nicht vergeblich: Ihre Kampagne auf den Plakatwänden in Städten und Dörfern hat Menschen für das Thema sensibilisiert und Betroffenen Mut gemacht, sich bei der Telefon-Hotline zu melden. Täglich rufen 20 bis 40 Menschen an. Sollte das Thema nun aber auf politischer Ebene behandelt werden wie eine Steuerreform, wenn nun all die aufgeschreckten, traumatisierten Männer und Frauen keine Beratung finden, weil sie auf dem Land leben oder weil Therapeutenstellen abgebaut werden, wären alle Bemühungen vergeblich gewesen.

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