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Meinung: Keine falsche Bewegung!

TV-Duelle können keine Wahlen entscheiden – nicht einmal in den USA / Von Claus Leggewie und Christoph Bieber

Am 26. September 1960 sank niemand tot um. Merklich gesunken schienen aber, nach dem ersten TV-Duell aller Zeiten, die Wahlchancen des amtierenden US-Vizepräsidenten, Richard Nixon. Während sein Herausforderer Senator John F. Kennedy mit überlegenem Gewinnerlächeln die Herzen der Nation für sich gewann, machte sich Nixon mit seinem schlecht sitzenden Anzug und dem fahlen, von Bartstoppeln übersäten Gesicht bei den meisten der 70 Millionen Zuschauer unbeliebt. „Schon nach Stunden konnte sich niemand daran erinnern, was gesagt worden war, nur wie sie aussahen, wie sie sich anfühlten“, schrieb David Halberstam 1976, als nach sechzehnjähriger Schockpause die nächste Serie von „Presidential Debates“ startete, damals zwischen Gerald Ford und seinem Herausforderer Jimmy Carter. „Es geht nicht um öffentliche Politik sondern um visuelle Ästhetik“, resümiert der Journalistikprofessor Schroeder.

Aus dieser amerikanischen Tradition ist die Idee entstanden, auch in Deutschland Amtsinhaber und Kandidaten im „TV-Duell“ gegeneinander antreten zu lassen, auch wenn sie sich in Deutschland nicht direkt zur Wahl stellen. Ungeachtet dieses wichtigen Unterschieds kann man etwas lernen aus der amerikanischen Erfahrung mit dieser hochriskanten politischen Kommunikation, die alle anderen Arten von Wahlkampf in den Schatten gestellt hat.

Eine wichtige Lehre vorweg: Wahlentscheidend waren solche TV-Duelle in den USA nie, auch wenn sie schwankende Wähler beeinflusst haben. Keiner gewinnt, weil er gut im Fernsehen war, und keiner verliert, weil er sich dort blamiert hat. Auch Nixon wurde später noch Präsident. Wirkte die Redeschlacht zwischen ihm und Kennedy noch improvisiert, wollte man seit Ende der 70er Jahre nichts mehr dem Zufall überlassen. Präsidentschafts-Debatten sind eine echte Industrie geworden, wie andere große TV-Ereignisse. Die aufwendige Vor-Produktion und die üppige Nachbereitung erscheinen fast wichtiger als das Aufeinandertreffen der Politiker selbst, bei denen eine gute Portion Spontaneität und ein Rest von Risiko bleiben, sich vor Millionen zu blamieren – ein falsches Wort, eine arrogante Geste oder ein dummer Gesichtsausdruck reichen aus.

Deswegen bemühen sich die Kampagnen beider Matadore um Risikobegrenzung und zwängen den Verlauf der Debatte in ein Korsett formaler, mit einer Schar von Anwälten ausgehandelter Regeln. Fixiert wird der Kalender der Debatten – an welchem Tag, zu welcher Stunde –, ihre Abfolge und ihr zeitlicher Abstand zum Wahltag, die Länge der Veranstaltung, das technische Equipment der Arena und die An- oder Abwesenheit von Zuschauern. Mit „staging“ (der Bühnengestaltung) – Podium, Sitzgarnitur, Stehpult? – sollen Körpersprache und Gestalt des Bewerbers unterstützt werden. Was die Matadore daraus machen, bleibt allerdings offen: Viele Duellanten haben die Prozedur mit beißendem Spott als Pflichtaufgabe absolviert wie Bob Dole, während sein Gegenspieler Bill Clinton zur Hochform auflief.

Im amerikanischen Fall hat es sich als Vorteil erwiesen, dass seit 1987 die „Commission on Presidential Debates“, eine überparteiliche Non-Profit-Organisation, die Fernsehdebatten beaufsichtigt. Sie führt eine umfangreiche Begleitforschung durch und berät andere Staaten bei der Etablierung eigener Debattenformate – Brasilien, Südafrika, Taiwan oder Namibia gehörten zu den Ratsuchenden, Deutschland bisher nicht. Hauptargumente für die Institutionalisierung der TV-Debatten war, „dass Kandidatenforen schon im Nominierungsprozess ein Fakt des politischen Lebens“ geworden seien und mit den TV-Duellen „das Interesse der Öffentlichkeit an der Wahl“ gesteigert werden könne. Auch für unsere Causa Westerwelle hätte sie Kriterien: Im Jahr 2000 waren dies der Nachweis des „Ballot Access“, des Erscheinens auf einer ausreichenden Zahl von Wahlzetteln, und die Unterstützung von mindestens 15 Prozent der Wählerschaft anhand der Prognosen fünf ausgewählter Umfrageinstitute. Man sollte vielleicht überlegen, eine solche mit unabhängigen Experten besetzte Kommission auch in Deutschland einzurichten.

So wohl überlegt die Debatten auch sind: Die Live-Übertragung kann alles Vorgeplante zunichte machen. Deswegen wird auf die Nach-Produktion des Ereignisses großer Wert gelegt: die „Anschlusskommunikation“, die ebenfalls generalstabsmäßig erzeugt wird. Wer eine Debatte für sich entschieden hat – dafür hat noch nie jemand eindeutige Kriterien vorlegen können. Das bleibt dem „Spin“ der Kommentatoren und der Anschlusskommunikation vor der Glotze und nach der Sendung überlassen.

Erleben wir mit all dem eine neue Stufe der Amerikanisierung europäischer Wahlkämpfe? Ja und nein. Die Neigung, komplexe politische Entscheidungen auf ein durch Personen verkörpertes „Ja oder Nein“ zu reduzieren, ist nicht in den USA erfunden worden. Dort hat sich aber das Fernsehen als Hauptmedium politischer Kommunikation etabliert, dort ist auch die engste Symbiose zwischen Politik und elektronischen Medien anzutreffen, und das TV-Format der Zuschauerdemokratie prägt den Politikstil erheblich: die Matadore streiten sich, das Volk schaut zu. Das TV-Duell wird zur Nachricht und als Live-Event aufwendig annonciert und üppig kommentiert. Die autistische Welt des Fernsehens kommt hier voll zur Geltung.

Claus Leggewie ist Publizist und Professor für Politik in Göttingen, Christoph Bieber sein Mitarbeiter.

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