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Meinung: Keine Glaubenskriege

Warum die Gewerkschaften in den Niederlanden flexibler auf Reformen reagieren

Größer könnte der Unterschied nicht sein: Während auf dem IG-Metall-Kongress in Hannover der neue Vorsitzende Jürgen Peters eine Breitseite nach der anderen gegen die Agenda 2010 loslässt, unterzeichnen die beiden mitgliederstärksten Gewerkschaften der Niederlande mit Regierung und Arbeitgebern ein Abkommen, durch das Arbeiter und Angestellte zwei Jahre lang reale Lohnverluste hinnehmen müssen. Der Streit um die Reform der Sozialsysteme ist auch in den Niederlanden noch nicht ausgestanden, wie die Proteste zeigen, die nun an der Gewerkschaftsbasis laut werden. Doch ideologische Grabenkämpfe um die Reform des Sozialstaats werden in den Niederlanden nicht geführt – obwohl die Gewerkschaften dort nicht mit Sozialdemokraten, sondern einer christdemokratisch-liberalen Koalition verhandeln, in der knallharte Wirtschaftsliberale das Sagen haben.

Wie kommt es, dass in den Niederlanden fast sang- und klanglos durchgesetzt werden kann, was in Deutschland jahrelanges Tauziehen, Streiks und Proteste hervorruft? Der wichtigste Grund: Die Niederlande sind, nach Monaten innenpolitischer Turbulenzen, wieder regierbar geworden. Premierminister Balkenende muss weder auf die Opposition noch auf Abtrünnige in den eigenen Reihen Rücksicht nehmen, wenn er sich mit den Gewerkschaften an einen Tisch setzt. Und er kann die Beschlüsse dann auch durchsetzen, ohne Blockaden wie im deutschen Bundesrat befürchten zu müssen. Im Gegensatz zu Bundeskanzler Schröder führt für die Tarifpartner auch kein Weg an der Regierung vorbei. Die sitzt am Tisch, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Lohnniveau der nächsten Jahre aushandeln. Und sie kann die Tarifverträge anschließend per Gesetz für verbindlich erklären.

An heftigen „Eingriffen in die Tarifautonomie“ hat es in den letzten Monaten in Den Haag wahrlich nicht gefehlt. Die Tarifautonomie, die deutsche Gewerkschaften bis zum letzten Blutstropfen verteidigen, gibt es in den Niederlanden nicht. Regionale oder betriebliche „Bündnisse für Arbeit“ sind jederzeit möglich. Auch der jetzige Lohnstopp wird nicht für Betriebe gelten, die Gewinne erwirtschaften und mit ihren Belegschaften teilen wollen.

So gesehen sind Hollands Gewerkschaften schwächer als die in Deutschland. Trotzdem sind sie mit ihrer liberalen, pragmatischen Sichtweise bisher nicht schlecht gefahren. Zu Zeiten hoher Arbeitslosigkeit wie in den 80ern erklärten sie sich mit Lohnverzicht einverstanden. Die Arbeitslosigkeit verwandelte sich in den 90ern in Arbeitskräftemangel und brachte den Beschäftigten doppelt so hohe Lohnzuwächse wie in den Nachbarstaaten. An denen durften sich alle erfreuen, denn Arbeitslose gab es praktisch nicht.

Jetzt, wo das hohe Lohnniveau die Schmerzgrenze der Wirtschaft übersteigt, kommt der Lohnstopp. Da die Gewerkschaften auch die Liberalisierung der Teilzeitarbeit und die Privatisierung der Arbeitsvermittlung mitgetragen hatten, ist der niederländische Arbeitsmarkt relativ flexibel: Statt Einstellungsstopps und mehr Überstunden für Festangestellte anzuordnen, weichen viele Betriebe auf den Teilzeit- und Interimsmarkt aus, der voll ins Sozialsystem integriert ist. Der Übergang zwischen erstem und zweitem Arbeitsmarkt ist so fließend. Wer arbeitslos wird, bleibt es selten lange.

Hinzu kommt, dass wirtschaftspolitische Meinungsverschiedenheiten in den Niederlanden kein Anlass für Glaubenskriege sind. Mit der Kombination aus Freihandel und starken sozialen Sicherungen sind die Niederlande gut gefahren. Globalisierungsgegner gibt es deshalb in den Niederlanden praktisch nicht. Und Gewerkschaften, die aus ideologischen Gründen blockieren, was in der öffentlichen Debatte für richtig erkannt wurde, würden in den Niederlanden sehr schnell die Mitglieder davonlaufen. Was sie in Deutschland ja auch bereits tun.

Klaus Bachmann

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