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Meinung: Keine heiße Kartoffel

Nur wenn Europa Kiew weiter unterstützt, hat die orangene Revolution eine Zukunft

In Kiew ist Ruhe eingekehrt. Auf dem Majdan und dem Kreschtschatik-Boulevard erinnern nur noch wenige orangene Wimpel an den Straßenlaternen an die größte Volkserhebung in der Geschichte der Ukraine. Nicht Enttäuschung, sondern Zuversicht hat die Anhänger des Oppositionsführers Viktor Juschtschenko in den Alltag zurückkehren lassen.

Spätestens nach dem Fernsehduell der beiden Kandidaten am Montag zweifelt zwar niemand mehr am Sieg Juschtschenkos bei der Wahlwiederholung am Sonntag. Zu durchsichtig waren die plötzlichen Friedensangebote des inzwischen beurlaubten Ministerpräsidenten Viktor Janukowitsch, zu plump sein Versuch, sich als Opfer einer Verschwörung zwischen Präsident Kutschma, dem Westen und Juschtschenko darzustellen.

Unsicher bleibt aber die Entwicklung im Osten. Juschtschenko hatte in dieser Woche einen schweren Fehler gemacht: Überraschend deutlich wandte er sich dagegen, Russisch wieder zur zweiten Amtssprache zu machen. Den Sezessionsbestrebungen der Janukowitsch-Anhänger lieferte er damit neue Munition, und viele Ukrainer haben Angst vor einem Ausbruch der Gewalt frustrierter Bergarbeiter nach der Wahl.

Ein Regierungschef aus dem Ausland hat jetzt dazu beigetragen, dieses Szenario unwahrscheinlicher zu machen: Gerhard Schöder. Seine stillen, aber beharrlichen Hinweise an Freund Wladimir Putin, sich nicht mehr in den ukrainischen Wahlkampf einzumischen, waren erfolgreich. Putins kompletter Schwenk in der Ukrainepolitik ist in der Aufregung über Jukos, Tschetschenien und Schuldenbegleichung völlig untergegangen – zu Unrecht. War es doch Putin, der Janukowitsch vor den ersten beiden Wahlgängen jeweils besucht und demonstrativ den Rücken gestärkt hatte – und den russlandfreundlichen Wählern im Osten suggerierte, nur Janukowitsch sei der Garant für gute russisch-ukrainische Beziehungen und billige Energielieferungen. Wenn Putin jetzt verlautbaren lässt, er werde auch mit Juschtschenko gut zusammenarbeiten – und keine Vorbehalte gegen eine Ausrichtung der Ukraine nach Westen erkennen lässt, dann ist das ein entscheidender Schritt hin zu einer neuen demokratischen Ukraine.

Juschtschenko täte gut daran, seine Amtszeit mit einer Politik des Ausgleichs zu beginnen. Dazu zählt die Berufung eines Ministerpräsidenten, der auch im demoralisierten Osten mehrheitsfähig ist. Dessen Forderung nach mehr föderaler Mitbestimmung und der Wiedereinführung von Russisch als zweiter Amtssprache muss Juscht- schenko ernster nehmen. Richtig ist die Ankündigung, nach Amtsantritt zuerst nach Moskau zu reisen.

Erst später kann sich Juschtschenko seinen eigentlichen Zielen widmen: dem demokratischen Umbau des Staates und der Zuwendung zum Westen. Präsident Kutschma hat im Sommer offiziell den Beitritt zu Nato und EU als Ziele der ukrainischen Staatsdoktrin gestrichen. Juschtschenko wird das ändern.

Ändern muss sich aber auch die Haltung der EU. Das Angebot der Union, die Ukraine gemeinsam mit Staaten wie Marokko und Jordanien in einen „Ring der Freunde“ aufzunehmen – und gleichzeitig Beitrittsgespräche mit der Türkei zu vereinbaren, ist inakzeptabel. Wie soll die orangene Revolution erfolgreich sein, wenn Europa die Ukraine gar nicht will? Schon unken ukrainische Intellektuelle, Europa werde den Nachbarn nach der Wahl wieder fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Wenn Gerhard Schröder es ernst meint mit einer europäischen Ukraine, dann sollte er künftig auf seinen Freund, den polnischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski hören. Der fordert eine Beitrittsperspektive – wie für die Türkei.

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