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Recht oder Pflicht? Ab dem 1. August haben ein- bis dreijährige Kinder einen Rechtsanspruch auf eine Betreuung. Nun wird diskutiert, ob das auch verpflichtend sein soll.

© epd

Kinderbetreuung in Berlin: Kita-Pflicht? Das geht auch anders!

In Berlin wird darüber debattiert, eine Kita-Pflicht für Dreijährige einzuführen. Dabei ist das nicht der einzige Weg, Kindern bereits vor der Schule Lebenswichtiges beizubringen.

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das spürt man besonders stark in den großen Städten. Von den mehr als 28 000 Mädchen und Jungen, die im vergangenen Jahr in Berlin eingeschult wurden, kamen fast 40 Prozent aus Migrantenfamilien. Sieben Jahre zuvor, 2005, waren es nur 30 Prozent gewesen. Der steigende Zuzug von Menschen aus anderen Ländern verändert die Stadt, bereichert ihr Leben, macht es vielfältiger. Und er kann auch Probleme bereiten, beispielsweise, wenn die Neubürger kein Deutsch sprechen. Für die Schulen ist das eine Chance. Sie und die Kindergärten leisten den wichtigsten Beitrag zur Integration und machen erst möglich, dass aus einem neuen Wohnort in einem fremden Land eine Heimat werden kann.

Aber was ist, wenn die Eltern dieser Kinder die Chancen nicht nutzen, wenn sie ihre Kinder nicht in eine Kita schicken, in der Deutsch gesprochen wird? Dann erschweren sie den Start der Kleinen in der Schule ganz erheblich. Das hat fast immer Auswirkungen bis in die Berufsfindung hinein und verdüstert damit auch die Perspektiven für ein Leben in gesicherten finanziellen Verhältnissen. Deshalb ist es nachvollziehbar und spricht für einen wachen politischen Instinkt, dass die jüngsten Statistiken der Gesundheitsverwaltung den SPD-Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh, der selber Migrant ist, alarmieren.

Die Zahlen aus dem von Gesundheitssenator Mario Czaja betreuten Ressort sind eindeutig. Zuwandererkinder, die vor der Einschulung keinen Kindergarten besuchten, sprechen zu 53 Prozent kaum oder gar kein Deutsch, 21 Prozent können sich nur fehlerhaft artikulieren. Das heißt, drei Viertel dieser Kinder werden von Anfang an dem Unterricht nicht folgen können. Waren die kleinen Mädchen und Jungen aber länger als zwei Jahre in einer Kita, sind nur noch drei Prozent sprachlich sehr stark gehandicapt, 22 Prozent haben Probleme, aber 75 Prozent sprechen gut Deutsch. Raed Saleh folgert daraus, es müsse künftig eine Kita-Pflicht für über Dreijährige geben.

Das erscheint logisch, löst aber nicht nur in konservativen Kreisen heftige Proteste aus. Die meisten Menschen lassen sich vom Staat nicht gerne bevormunden. Sie möchten selber entscheiden, was für sie und ihre Kinder gut ist. Artikel sechs des Grundgesetzes fordert sie dazu auch auf. Er überantwortet den Eltern Pflege und Erziehung der Kinder. Eine Kindergartenpflicht ab drei Jahre verletzte dieses Grundrecht. Der fehlerhafte Ansatz wird auch nicht dadurch geheilt, dass man den Kitas einen Bildungsauftrag zuweist und sie damit Schulen gleichstellt. Das Bundesverfassungsgericht würde diesen Trick kaum mitmachen.

Was also tun, wenn doch ein früher Kindergartenbesuch – übrigens auch für Kinder aus rein deutschen, aber bildungsfernenen Elternhäusern – so segensreiche Folgen hätte? Mit dem Schuljahr 2005/6 wurden die Vorklassen an den Berliner Grundschulen abgeschafft. Sie hatten sich zwar sehr bewährt, nicht zuletzt im Hinblick auf den Spracherwerb von Migrantenkindern. Aber Finanzsenator Thilo Sarrazin wollte, Bildungssenator Klaus Böger musste sparen. Deshalb wurde das Einschulungsalter um ein halbes Jahr vorverlegt und den Kitas die schulvorbereitende Erziehung zugewiesen. Daraus kann die Politik lernen. Sie muss über Kinderärzte, Kirchen, Nachbarschaftsklubs und Gesprächskreise für einen frühen Kindergartenbesuch werben. Und sie könnte die klassische Vorschule wieder dort stattfinden lassen, wo sie, grundgesetzkonform, hingehört: in der Schule.

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