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Meinung: Kleines Hochamt für das Bündnis

Von Christoph von Marschall Driften Amerika und Europa auseinander? Das ist schon oft behauptet worden – natürlich auch jetzt wieder, vor George W.

Von Christoph von Marschall

Driften Amerika und Europa auseinander? Das ist schon oft behauptet worden – natürlich auch jetzt wieder, vor George W. Bushs Reise nach Berlin, Moskau, Paris und Rom. Doch die Bilder strafen die Ankündigung Lügen. Bush am Strand in der Normandie, wo 1944 die Landung der Alliierten begann: Die Szene steht für jahrzehntelange Waffenbrüderschaft und Verbundenheit, sie unterscheidet sich auch nicht von Bill Clintons Besuch dort 1994 und signalisiert damit Kontinuität des Verhältnisses zu Europa.

Zuvor, am Wochenende, die herzliche Begegnung mit Wladimir Putin. Der Kalte Krieg ist endgültig vorbei, auch von der Rivalität, die Boris Jelzin noch mitunter gepflegt hatte, war nichts mehr zu spüren. Da präsentierten sich zwei Partner in freundlichem Einvernehmen. Wenn sich etwas geändert hat im Vergleich mit den Zeiten von Bush-Vater oder Clinton, dann dies: Das Bündnis Amerikas mit Europa wird, wie es scheint, gerade erweitert – um Russland, dem heute in Rom ganz offiziell ein besserer Platz am Nato-Tisch eingeräumt wird. Und: Die Abrüstung geht weiter. Nicht Bush muss sich korrigieren, sondern seine Kritiker, die das Projekt Raketenabwehr und die geplante zweite Nato-Erweiterung verdammt hatten, weil sie angeblich zu neuem Rüstungswettlauf und Konfrontation mit Moskau führten.

Schon der Verlauf des Besuchs in Berlin hatte in scharfem Kontrast zu den erwarteten Massenprotesten gestanden. Im Bundestag trat kein Hard-Core-Konservativer auf, der weitere Kriege führen will, höhere Militärausgaben fordert und die Umwelt- und Sozialprobleme der Welt ignoriert. Sondern ein jugendlicher Charmeur und mitunter fast flapsig formulierender Pragmatiker. Da entschuldigte sich am Ende sogar der PDS-Fraktionsvorsitzende für die Kollegen, die den Unterschied zwischen Vorurteil und Wirklichkeit nicht mitbekommen hatten. Wer hinsehen und lernen wollte, hatte Gelegenheit, sein Bush-Bild zu überprüfen.

Dissens gab es gleichwohl, und der wurde auch nirgends verschwiegen. In Paris nutzte Jacques Chirac die Pressekonferenz mit Bush, um dessen Protektionismus in der Stahlbranche (mit Blick auf die Kongresswahl im Herbst) anzuprangern. In Berlin hatten Bundestagspräsident Thierse und andere die Meinungsverschiedenheiten in der Klimapolitik und beim Thema Internationaler Strafgerichtshof offen formuliert. Da machte keine Seite Zugeständnisse.

So war es meist bei Europa-Reisen amerikanischer Präsidenten über die Jahrzehnte: Einerseits sentimentale Besinnung auf die Gemeinsamkeiten, allenfalls wurde das Hochamt der transatlantischen Gemeinsamkeit diesmal ein bisschen weniger pathetisch zelebriert. Andererseits – vor dem Besuch stärker als während seiner Dauer – ein leicht aufmüpfiges Beharren beider Seiten, klüger und weitsichtiger zu sein auf den Feldern, wo sich die Differenzen weder ausräumen noch abmildern lassen, weil sie zum Teil ideologischer Natur sind: von der Welthandelspolitik bis zur Todesstrafe.

Und doch ist die Warnung nicht unberechtigt. Der Atlantik wird breiter. Amerika wendet sich Asien sowie dem arabischen Raum zu und zieht Aufmerksamkeit von Europa ab – weil Europa nicht mehr der Brennpunkt ist. (Was die Europäer freuen könnte.) Zweitens reagiert Amerika anders auf den 11. September. Nur hat Bushs Besuch keine Belege für die Veränderung geliefert. Er hat nicht abgebildet, was da im Wandel ist.

Das liegt vor allem daran, dass weder Bush noch die Europäer wissen, wie es jetzt weitergehen soll in der Abwehr der Gefahr durch internationalen Terrorismus. Durch diese Ratlosigkeit sind auch die zwei Zugeständnisse zu erklären, die der Gast den Gastgebern nach ihrem Eindruck machte: kein Irak-Krieg ohne vorherige Konsultationen; und auch kein Feldzug zu Saddams Sturz, solange die Lage in Nahost so brisant ist. Es ist nur ehrlich, wenn Bush sagt, er habe derzeit keine konkreten militärischen Pläne. Konzilianz aus Ratlosigkeit.

Das transatlantische Verhältnis ist in einer Zwischenphase. Die entscheidende Belastung steht noch aus. Erst dann wird man wissen, was stärker ist: die alte Gemeinsamkeit oder der Einfluss der neuen Konflikte.

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