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Meinung: Klischee-Kanonade

Ob Schulbücher, Krippen oder Polikliniken: Die DDR dient weiter als Abschreckung

Von Matthias Schlegel

Das erinnere sie an die DDR, sagen manche jetzt wieder. Und sie meinen den Vorschlag von Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), deutschlandweit einheitliche Schulbücher einzuführen. Es soll wohl das Totschlagargument schlechthin sein: Was an die DDR erinnert, kann nur schlimm sein.

Ähnliches hat man bei anderen Gelegenheiten zu anderen Themen gehört. Und immer mit der gleichen Intention. Wenn einem nichts Besseres einfällt, muss eben die Ideologiekeule her. Auch deshalb ist es das schwächste Argument überhaupt.

In den vergangenen Jahren des durchaus schmerzhaften Wiedervereinigungsprozesses galt den Westdeutschen das häufig gebrauchte „Es war nicht alles schlecht“ der Ostdeutschen als Lamento der Ewiggestrigen. Viele Ossis haben es sich deshalb tunlichst verkniffen, diese Worte noch zu gebrauchen. Allenfalls haben sie noch an den Stammtischen und „ganz unter sich“ triumphiert, dass ja auch der Westen langsam dahinterkommt, was sich im Osten lange bewährt hatte.

Und das war mehr als nur das Ampelmännchen: kürzere Bildungswege und früherer Berufseinstieg durch zwölf statt dreizehn Schuljahre bis zum Abitur. Ärztehäuser und Gemeinschaftspraxen in der Tradition der nach der Wende abgewickelten Polikliniken, um gesundheitliche Rundumversorgung zu gewährleisten, Medizintechnik effektiver zu nutzen und den Patienten Wege zu ersparen. Mehr Krippenplätze, um Müttern einen raschen Wiedereinstieg in den Beruf zu ermöglichen. Und eine umfassendere Familienförderung, die freilich vom DDR-Staatshaushalt nicht im mindesten finanzierbar war.

Die andere Seite aber – und die wird von den Es-war-nicht-alles-schlecht-Rufern gern ausgeblendet – ist, dass die Ansätze solcher Bildungs- und Sozialpolitik in der DDR eben nicht nur die Interessen des mündigen Bürgers und die staatliche Wohlfahrt im Blick hatten. Im SED-Regime hatten Indoktrination und Auslese nach ideologischen Gesichtspunkten im wahrsten Wortsinn System. Zentralismus und Planwirtschaft waren die unverzichtbaren Rahmenbedingungen dafür.

Die Fähnchen schwingenden Kindergartengruppen am Straßenrand beim Besuch eines befreundeten Staatsgastes haben die DDR-Vorschulerziehung ebenso diskreditiert wie die Blumengrüße der Kleinen an die Soldaten zum „Tag der Nationalen Volksarmee“. Die 5000 DDR-Mark zinsloser Ehekredit, deren Rückzahlung bei der Geburt von Kindern erlassen wurden, waren eine willkommene Starthilfe für die jungen Leute, aber natürlich ebenso ein verzweifelter – und untauglicher – Versuch des Staates, dem Bevölkerungsrückgang durch die Massenflucht in den Westen entgegenzuwirken.

In der Debatte darüber, was des Staates sei und was nicht, verstellt das wohlfeile Argument, es erinnere an die DDR, den Blick für die inhaltliche Auseinandersetzung. Es ist quasi die Fortsetzung der unseligen Rote-Socken-Kampagne mit anderen Worten.

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