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Koalitionen: Gleich und Gleich gesellt sich gern …

… ziert sich aber: Warum eine schwarz-grüne Koalition im Bund weit mehr ist als eine rechnerisch mögliche Option.

Wenn Politik die Kunst des Möglichen ist, dürfte nach der Bundestagswahl hohe Kunst gefragt sein. Große Koalition geht immer – aber eine zweite Legislaturperiode der teuren Kompromisse würde den epochalen Aufgaben zwischen Wirtschaftskrise und Klimawandel kaum gerecht. Der Gestaltungsspielraum schrumpft wegen der Rekordschulden ohnehin so stark, dass nicht mehr alle Interessen bedient werden können. Vermutlich hätte eine Neuauflage der großen Koalition auch nicht lange Bestand. Gelänge es, im Herbst eine Koalition zu schmieden, die nicht nur arithmetisch passt, sondern auch für Aufbruch steht – das wäre hohe Kunst.

Um es gleich zu sagen: Ein Regierungsbündnis von Union und FDP stünde eben nicht für Aufbruch, sondern für Rückschritt, nicht nur bei der Atomkraft. Der Marktradikalismus der FDP passt weder in die Zeit noch zur CDU von Angela Merkel. Das Versprechen, die Steuern im Falle der Regierungsbeteiligung schnell und stark zu senken, ist angesichts der Rekordschulden mit Sicherheit nicht zu halten.

Wenn Schwarz-Gelb nicht zustande käme, was bliebe dann möglich? Dreierbündnisse jedenfalls eher nicht. „Jamaika bleibt in der Karibik, und das ist sehr gut so“, stellte Grünen-Chefin Claudia Roth beim Parteitag im Mai klar. Mehrheitsbeschaffer für Union und FDP wolle man nicht sein. Jamaika bleibt in der Karibik – und die Ampel an der Kreuzung, wenn die SPD so weitermacht. Bei der Europawahl kamen SPD, FDP und Grüne gemeinsam nur auf knapp 44 Prozent der Stimmen.

Hinzu kommt: Die FDP will erklärtermaßen nicht. Was wäre also, wenn die Grünen auch bei der Bundestagswahl vor der FDP lägen und es für Schwarz-Grün reichte? Diese Konstellation – bei der Europawahl für 50 Prozent gut – wäre dann neben der großen Koalition und Rot-Rot-Grün wohl die einzige denkbare Bündnisvariante, und es wäre aus ökonomischer Sicht die mit Abstand sinnvollste.

Grünes Denken hat inzwischen nicht nur die Bürger und alle Parteien erfasst, sondern besonders die Wirtschaft. Beispiel Auto: Nachdem die Hersteller entscheidende Trends verschlafen haben, holen sie nun auf. Noch geht es langsam: Das neue Porsche-Schiff Panamera gibt es noch nicht als Hybridversion, den neuen Golf nicht mit Elektromotor. Aber bei Mercedes laufen erste Hybridautos – leider nur Luxuslimousinen – vom Band, und alle deutschen Hersteller stehen bei Elektrofahrzeugen vor der Serienreife. Berlin wird mit Testflotten von E-Smarts und E-Minis gerade ein Experimentierfeld für die Mobilität der Zukunft. Wenn der Ölpreis wieder Rekorde erreicht, werden die deutschen Hersteller eine neue Generation von Sparantrieben bereithalten.

Aber grün werden nicht nur die Autos, grün wird die ganze deutsche Industrie, so scheint es zumindest manchmal. „Siemens ist grün. Siemens wird noch grüner“, hat Vorstandschef Peter Löscher in einem Tagesspiegel-Interview gesagt. In den kommenden drei Jahren erwartet der Konzern aus den Konjunkturprogrammen in aller Welt einen Umsatz von 15 Milliarden Euro – davon rund 40 Prozent mit grünen Technologien. Insgesamt erwirtschaftet der Konzern bisher rund ein Viertel seines Umsatzes in diesem Feld, von modernen Gasturbinen über effiziente Beleuchtung und Windkraftanlagen bis zu umweltfreundlichen Zügen.

In früheren Zeiten waren Bekenntnisse der Industrie zu Nachhaltigkeit nicht viel wert. Gewinn hatte Vorrang und hat es natürlich auch heute noch. Der Fortschritt ist, dass grüne Technologien jetzt ein enormes ökonomisches Potenzial entfalten. So kommt es, dass der Grünen-Politiker Fritz Kuhn beim Tag der Deutschen Industrie mehr Zustimmung erfährt als SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier. Deswegen stellt die Deutsche Bank in New York einen „Carbon Counter“ auf, der die globalen CO2-Emissionen nach dem Vorbild der Schuldenuhr anzeigt.

Sicher, vieles erschöpft sich in Sonntagsreden und Symbolen. Aber grünes Denken ist für viele Unternehmen zum entscheidenden ökonomischen Faktor geworden. Es ist betriebswirtschaftlich sinnvoll, grüne Technologien und Dienstleistungen zu vermarkten. Nachhaltigkeit rechnet sich. Weil das so ist, formiert sich zum Beispiel gerade ein Konsortium unter Führung der Münchener Rück, das 400 Milliarden Euro für Solarkraftwerke in Nordafrika mobilisieren will, um die Energieversorgung Europas zu verbreitern.

Auch volkswirtschaftlich spricht viel für Grün. Denn wenn die Deutschen ihren Lebensstandard halten oder sogar verbessern wollen, wird der Export die Stütze der Wirtschaft bleiben müssen. Der Exportweltmeister kann nicht plötzlich auf Binnennachfrage umschalten, jedenfalls nicht, ohne gewaltige gesellschaftliche Verwerfungen zu riskieren. Als Hochlohnland kann Deutschland aber nur dann eine Exportnation von Rang bleiben, wenn es über einen technologischen Vorsprung verfügt.

Wir müssen um so viel besser sein, wie wir teurer sind: Diese Wahrheit hat sich durch die Krise nicht plötzlich verändert. China, Indien und die anderen Schwellenländer haben zwar technologisch aufgeholt, zahlen aber immer noch viel geringere Löhne. Einen Vorsprung kann die deutsche Industrie vor allem mit effizienten Produkten herausholen. Maschinen, die konkurrenzlos sparsam mit Ressourcen umgehen – das ist die Zukunft, die Nische der deutschen Industrie. Mit den Folgen des Klimawandels und den zunehmend schärferen Emissionsvorgaben hat sich ein gigantischer Markt aufgetan, der wie gemacht ist für das Land der Denker und Ingenieure.

Mit dieser Perspektive verändert sich auch der Blick auf die Wirtschaftskrise. Bisher geht die Bundesregierung bei ihrer Bewältigung ausschließlich fiskalpolitisch vor und mobilisiert Milliarden und Abermilliarden, um bestehende Strukturen zu retten. Zwar diskutieren die G-8-Staaten auf deutsche Initiative hin bereits Exitstrategien, wie man wieder aus der expansiven Fiskal- und Geldpolitik herausfindet. Aber eine industriepolitische Antwort auf die Wirtschaftskrise fehlt völlig. Wer das Geld hat, hat die Macht: Diesen Grundsatz lässt die Bundesregierung außer Acht und macht der Commerzbank, Opel und den anderen Hilfsempfängern keinerlei unternehmerische Vorgaben.

Man mag das für ordnungspolitisch geboten halten. Das Argument, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist, hat tatsächlich viel für sich. Die Landesbanken zeigen nur zu deutlich, wie schädlich der Einfluss der Politik sein kann. Aber wer ordnungspolitisch sauber sein wollte, müsste Staatshilfen ganz ablehnen und es allein den Markt richten lassen. Wenn der Staat das nicht tut, dann sollte er möglichst viele Fliegen mit einer Klappe schlagen. So geht auch US-Präsident Barack Obama vor. Eine der Bedingungen für die Staatshilfen an General Motors war, dass ein Kleinwagen entwickelt wird, der auch in den USA vom Band läuft. Wenn dieser Chevrolet Spark – zu deutsch: Funke – wirklich Anklang findet, kommt das Unternehmen wieder auf Trab und findet die amerikanische Gesellschaft zu mehr Umweltbewusstsein. Auch Obama weiß nicht, ob es so kommt, aber immerhin hat seine staatliche Hilfe eine industriepolitische Logik.

Nach diesem Muster hätte nicht nur Wirtschaftsminister Karl- Theodor zu Guttenberg in jener Opel-Nacht seine Einwände vortragen dürfen, sondern Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bedingung formulieren müssen, dass der Hersteller den durchschnittlichen Verbrauch seiner Modelle radikal senkt, sagen wir um ein Viertel bis Ende 2010. „Opel muss grün werden, dann helfen wir“, hätte sie sagen müssen. Opel geht ja mit dem Elektromodell Ampera, das Ende 2011 auf den Markt kommen soll, schon in diese Richtung. Für die aufgemotzte Mittelklasselimousine Insignia OPC mit 325 PS, mitten in den Rettungsbemühungen stolz präsentiert, wäre dann kein Platz mehr gewesen. Ordnungspolitisch wäre eine solche Ansage problematisch – aber nicht problematischer als die Hilfen selbst.

Mit den Grünen an ihrer Seite wäre Merkel stärker in der Pflicht, ihrem Ruf als Klimakanzlerin auch gerecht zu werden. Es ist eine Sache, in Heiligendamm Klimaziele zu verkünden, und eine andere, die Gesellschaft entsprechend umzubauen. Den Zielen fehlt Verbindlichkeit im politischen Alltag. So ist die Abwrackprämie, die offiziell auch noch Umweltprämie heißt, alles andere als nachhaltig: Es ist eine sträfliche Vergeudung von Ressourcen, funktionierende Autos zu verschrotten. Und auch die neue Kfz-Steuer, nach langen Diskussionen ausgehandelt, bestraft die Spritfresser nicht ausreichend. An solchen Phänomenen zeigt sich, dass grünes Denken zwar im Mainstream angekommen, aber noch nicht gefestigt ist.

Dafür braucht es die Grünen. Vom Projekt Schwarz-Grün zu sprechen, ist ein großes Wort – aber das richtige. Schwarz-Grün könnte das Projekt sein, um Wirtschaftskrise und Klimawandel gemeinsam zu bewältigen. Es hätte damit eine größere Dimension als Rot-Grün, obwohl auch Gerhard Schröder und Joschka Fischer vor elf Jahren nicht nur die Arithmetik zusammenführte. Beide einte der Wunsch, die quälend lange Ära Kohl zu beenden und Deutschland entscheidend zu modernisieren. Ihre Koalition kam nicht aus heiterem Himmel, es gab – wie jetzt bei Schwarz-Grün – Vorläufer in Ländern und Kommunen.

Gegen diese Konstellation auf Bundesebene sprechen die unterschiedlichen Auffassungen in der Energiepolitik und da vor allem in der Atomfrage. Nur: Auch die amtierende Bundesregierung unter Merkels Führung hat dieses Thema aus dem Koalitionsvertrag ausgeklammert und damit den Atomausstieg fortgeschrieben. Die Union könnte das sicher noch weitere vier Jahre aushalten. Vielleicht würde sich dann auch die Erkenntnis durchsetzen, dass der Ausstieg eine Errungenschaft ist, die umso mehr zählt, weil es bis heute kein deutsches Endlager für den Atommüll gibt. Selbst die Union hat inzwischen eine etwas differenziertere Haltung zur Atomkraft. Ein „vorerst unverzichtbarer Teil“ im Energiemix sei sie, heißt es im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU, das am heutigen Sonntag in Berlin verabschiedet werden soll. Zwar wolle man längere Laufzeiten, aber keine neuen Reaktoren.

Trotzdem werden bei dem Kongress, der das Programm heute beschließen soll, originär grüne Ideen nur am Rande vorkommen: wenn von nachhaltigem Wachstum oder dem Innovationsstandort Deutschland die Rede ist. Aber die Vordenker von Schwarz-Grün – Karl-Theodor zu Guttenberg, Wolfgang Schäuble, Ronald Pofalla, Jürgen Rüttgers – stehen nicht am Rande der Veranstaltung, sondern im Zentrum.

Sicher ist: Alle Teilnehmer könnten folgenden Text unterschreiben: „Wir setzen auf eine Konjunkturpolitik, die sofort hilft, aber nicht einfach verpufft und am Ende die bestehenden Probleme nur weiter vergrößert. Deshalb wollen wir nicht in die Ideen und Strukturen von gestern investieren, sondern in die Infrastrukturen und Produkte für morgen. Wenn wir jetzt schon so viel Geld in die Hand nehmen, dann bitte richtig. Wir haben dieses Geld von unseren Kindern nur geborgt. Damit verbinden wir eine sinnvolle Konjunkturpolitik heute mit einer Politik für künftige und bessere Wettbewerbsfähigkeit von Industrie, Handwerk und Dienstleistungsbranche.“

Es ist eine Passage aus dem Grünen-Wahlprogramm, und sie zeigt, wie nah sich das Denken inzwischen gekommen ist. Die Zeiten sind vorbei, in denen sich zottelbärtige Ökos und geleckte Anzugträger feindlich gegenüberstanden. Was die Union als soziale Marktwirtschaft beschreibt, deckte sich in weiten Teilen mit der grünen Marktwirtschaft des Programms der Grünen. Denn auch sie setzen auf Wirtschaftswachstum – es soll bloß in Zukunft stärker durch effizientere Technologien, erneuerbare Energien und nachwachsende Rohstoffe erreicht werden.

Trotz der Übereinstimmung, trotz des Potenzials wird es im Herbst für Schwarz-Grün wahrscheinlich nicht reichen, weil es an Stimmen oder an Mut fehlt. Doch ist mit dieser jungen Konstellation in Zukunft zu rechnen. Bei der Berlin-Wahl in zwei Jahren können die Grünen eine entscheidende Rolle spielen. In der Hauptstadt haben die einstigen Ökorebellen die regierende Volkspartei SPD bei der Europawahl klar hinter sich gelassen. Schon das ist eine Sensation. Aber nur 6000 Stimmen mehr, und die Grünen wären die stärkste Kraft geworden – und vor der CDU gelandet.

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