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Der Bundestag - ein ausführendes Organ der Parteien?

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Koalitionsverhandlungen: Partei vor Fraktion

Die Verhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD zeigen den Triumph der Parteiendemokratie über den Parlamentarismus - und offenbaren, wie sehr der kooperative Föderalismus aus den Fugen geraten ist.

Kennen Sie Anke Rehlinger? Sie hält noch immer den saarländischen Jugendrekord im Diskuswerfen (49,18 Meter). Derzeit bastelt sie an Deutschlands Zukunft mit, ein weitaus größerer Wurf. Rehlinger ist nämlich saarländische Ministerin. Und zwar für Justiz und Umwelt, in Saarbrücken geht das. Sie ist eine von gut 40 Landespolitikern der SPD, die sich gerade in Berlin mitbemühen, die Koalition im Bund, also die im Bundestag, vorzubereiten. Mehr als 200 Frauen und Männer insgesamt sitzen da zusammen, verteilt auf zwölf Arbeitsgruppen und vier Unterarbeitsgruppen. Schwarze wie Rote. Knapp die Hälfte hat kein Bundestagsmandat, also den Sitz in der Runde, um die es geht. Neben dem stattlichen Geschwader von Ministerpräsidenten, Landesministern, Landesstaatssekretären und Landtagsabgeordneten redet auch noch eine Handvoll Europaabgeordnete mit, dazu die schon weitgehend vergessenen Mitglieder des "Teams Steinbrück" aus dem Wahlkampf. Dass Politiker aus den Ländern und reine Parteivertreter zugezogen werden, ist nicht das Problem. Es ist eine Frage des Ausmaßes. Und hier darf man sich schon wundern.

Die CDU immerhin scheint das Maß noch einigermaßen wahren zu wollen. In der Kanzlerinnenpartei ist der Anteil der Nicht-MdB jedenfalls am kleinsten, ein Viertel etwa. Es sind auch keine Ministerpräsidenten darunter, während die Länderregierungschefs der SPD komplett mit von der Partie sind. Der Hamburger Senat scheint fast vollständig mitzuverhandeln, die Berliner Regierung ist gut vertreten, das gilt auch für Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Niedersachsen. Die CSU bietet den Großteil des Kabinetts aus München auf.

Es gibt Arbeitsgruppen, etwa die zur Energiepolitik, da kommen mehr Namen aus den Ländern zusammen als Bundestagsabgeordnete. Die SPD hat diese Runde gleich mit sechs führenden Landespolitikern besetzt, darunter drei Ministerpräsidenten – plus einer Frau mit Bundestagsmandat. Ähnlich sieht es in der AG Finanzen und in der AG Kultur und Medien aus (mit Klaus Wowereit als SPD-Fähnleinführer, Berlin braucht Geld). Über die europäische Bankenregulierung reden vier Europaabgeordnete, zwei bayerische Landesminister und sieben MdB. Allein in der AG Außenpolitik und Verteidigung sitzt nur einer aus den Ländern, der Staatssekretär Hintersberger von der CSU, der vermutlich das Protokoll für Horst Seehofer führen muss.

Was in Berlin bei den Koalitionsverhandlungen derzeit passiert, ist das Ergebnis zweier Fehlentwicklungen. Zum einen zeigt sich darin der Triumph der Parteiendemokratie über die parlamentarische Demokratie. Parteigremien, und nichts anderes sind diese Arbeitsgruppen in dieser Zusammensetzung, haben eindeutig Vorrang vor den Parlamentsfraktionen, also vor den gewählten Abgeordneten. Diese sollten vor allem die Verhandlungen in der Hand haben, denn sie werden diese Koalition bilden. Doch werden sie aus der Parteiwarte offenbar als ausführende Organe betrachtet. Natürlich sind sie eingebunden ins Spiel, mal mehr, mal weniger. Aber ist im Grundgesetz nicht die Rede von den Abgeordneten als Vertretern des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden? Angesichts des Vorspiels zu Schwarz-Rot darf man schon Befürchtungen hegen, dass der künftige Koalitionsausschuss zu einer regelrechten Ersatzregierung und zu einem Ersatzparlament in einem werden wird.

Zweitens erwecken die Koalitionsverhandlungen den Eindruck eines gigantischen vorgelagerten Vermittlungsverfahrens zwischen Bundestag und Bundesrat. Es ist das Ergebnis eines kooperativen Föderalismus, der aus den Fugen geraten ist. Alle verhandeln mit allen, Bund, Länder, die Stadtstaaten mächtig dabei, Europa auch, nur die Landkreise hat man wohl vergessen. Dass Landesinteressen angesichts der viel zu weit gediehenen Politikverflechtung zwischen den Ebenen in die Verhandlungen einfließen, ist nicht unstatthaft. Doch die Verfassung sieht für den Interessensausgleich zwischen Bund und Ländern, zwischen Bundestag und Bundesrat, eigentlich den Vermittlungsausschuss vor, dessen Mitglieder nach der Verfassung ebenfalls keinen Weisungen unterliegen. Und nicht irgendwelche Parteirunden.

Und wer trägt am Ende die Verantwortung? Der Bundestag mit seiner Mehrheit? Mit dabei war er immerhin. Aber er war ja nicht allein.

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