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Köhlers Rede: Globaler Imperativ

Der Bundespräsident spricht in seiner Berliner Rede Klartext: Die Finanzwirtschaft hat die "Glaubwürdigkeit der Freiheit" aufs Spiel gesetzt. Ein Kapitalismus, der die Freiheit unter seine Räder bringt, verträgt sich nicht mit dem Wertekanon der Industriestaaten.

Eine Rede zur Finanzkrise war angekündigt, eine über die Freiheit hat der Bundespräsident gehalten. Damit hat er mit einer Schärfe über das Weltwirtschaftsdebakel gesprochen, die den operativ handelnden Politikern, der Kanzlerin, der Regierung nicht gelingen will oder kann. Es ist wahr: Die Finanzwirtschaft hat die „Glaubwürdigkeit der Freiheit“ aufs Spiel gesetzt, die als Motto über der wichtigsten Berliner Rede Horst Köhlers steht.

Deutlicher kann man nicht sagen, dass die Demokratien ins Mark getroffen sind. Systemkrise? Allerdings. Ein Kapitalismus, der die Freiheit unter seine Räder bringt, verträgt sich nicht mit dem Wertekanon der Industriestaaten, die aus Verhältnissen erwachsen sind, in denen die Freiheit dem Kapitalismus erst abgerungen werden musste. Doch von den Industrienationen, die sich am stärksten fühlten, sagt Köhler, ging diese Krise aus.

Der Bundespräsident spricht Klartext, von Verunsicherung, steigender Arbeitslosigkeit, sehr harten Monaten, von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Zorn. Sein Optimismus, mit dem er für eine Marktwirtschaft wirbt, die auch von der Begrenzung wirtschaftlicher Macht lebt, ist der eines Politikers, der Kenner und Teil eines Systems ist, das sich verhoben hat. Mit der „Geschichte meines Scheiterns“ beginnt diese Rede: Der ehemalige Direktor des Internationalen Währungsfonds hat die Monster schon gesehen, von denen er als Bundespräsident sprechen wird. Bezwungen hat er sie nicht. In den Hauptstädten der Industriestaaten habe der politische Wille gefehlt, das Primat der Politik über die Finanzmärkte durchzusetzen.

Die Stärke dieser Rede ist Köhlers „Wir“, das an alle Deutschen als Akteure eines freien Landes gerichtet ist. Wenn Politiker es verwenden, entgehen sie selten der Gefahr, die Zuordnung von Verantwortung zu verwischen. Weil Köhler die der Brandstifter klar benennt und das Versagen der Politik ausspricht, die das Desaster nicht verhindern konnte und wollte, darf er auch die Bürger packen. Die Krise führe uns vor Augen: Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt.

Freiheit sei ein Gut, das stark macht, aber nicht zum Recht des Stärkeren werden dürfe. Der „Haken an der Freiheit“, von dem Köhler spricht, beschreibt das Verhältnis zwischen dem deutschen Normalbürger und seinem Banker: Freiheit könne in denen, die durch sie stark geworden sind, den Keim der Selbstüberhebung legen und die Vorstellung, dass sie ohne Verantwortung zu haben sei. Die Entgrenzung und Bindungslosigkeit, die Köhler der Finanzwelt bescheinigt, hat den Freiheitsbegriff in den Demokratien kompromittiert.

Das Bild trifft aber auch zu auf ein globales Verhältnis, das des Nordens zum Süden. Armut, Klimawandel, Finanzkrise – die Glaubwürdigkeit der Freiheit sei messbar „in unserer Fähigkeit, Chancen zu verteilen“. Der Norden müsse umdenken. Die Vorstellung, durch permanentes Wirtschaftswachstum die ungedeckten Wechsel zulasten der Zukunft, der nächsten Generation, des Planeten irgendwann einlösen zu können, war ein nur eingebildeter Königsweg. Auch deshalb seien die Finanzmärkte in Ruhe gelassen worden: als Wachstumsmaschinen, die lange gut gelaufen sind.

Es wäre weit weniger riskant gewesen, sagt der Bundespräsident, eine Eisenbahn quer durch ganz Afrika zu finanzieren, als Geld in einer angesehenen New Yorker Investmentbank anzulegen. Nach dem Schaden könnten wir klug werden. Die Menschheit sitzt tatsächlich in einem Boot. Es schwankt bedenklich.

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