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Meinung: Kollateralnutzen

Angesichts eines drohenden Krieges nähern sich die Parteien den Reformprojekten

Manchmal, davon kennt die Geschichte viele Beispiele, braucht Politik ein außergewöhnliches Ereignis, um wirkungsvoll zu sein. Einen tölpeligen SED-Funktionär etwa, der mit einem Satz Betonmauern öffnet, an denen sich zuvor jahrzehntelang Diplomaten die Zähne ausgebissen haben. Oder auch einen Skandal, der die Öffentlichkeit auf einen Schlag erkennen lässt, mit welchen absurden Auswüchsen sich eine riesige Bürokratiemaschine wie die Bundesanstalt für Arbeit immer nur um sich selbst dreht. Oder einen Krieg? Ja, auch wenn das zynisch klingt. Vielleicht kann schon die Beschäftigung mit einer solchen Bedrohung der Politik den Blick für das Notwendige auch auf anderen Gebieten schärfen.

Etwa für den Zustand der öffentlichen Haushalte in Deutschland. Aber auch die Reformen am Arbeitsmarkt, im Krankenversicherungs- und Rentensystem. Während sich die deutschen Politiker genauso wie hunderttausende Menschen mit dem drohenden Krieg im Irak befassen, wird der Bundestag am nächsten Freitag über das Steuerpaket von Finanzminister Hans Eichel abstimmen. Eine Ansammlung von Paragrafen, die die Opposition in den vergangenen Wochen zurecht als Steuererhöhungen entlarvt hat, die allein zum Stopfen von Haushaltslöchern dienen. Und auch ein Gesetzespaket, dem die Koalition zur parlamentarischen Mehrheit verhelfen wird, weil die lahmende Konjunktur und die mageren Steuereinnahmen nun mal zu Deckungslücken in den Etats führen, die die Regierung ausgleichen muss. Aber zuallererst ein Grundkonsens. Ein kleinster gemeinsamer Nenner, den beide Seiten, Regierung und Union, bereits jetzt für ihre Verhandlungen im Bundesrat gefunden haben. Zusammen mit Eichels Gesetz zur Steueramnestie, das das Kabinett am Mittwoch verabschieden wird, könnten die politischen Kontrahenten im Frühjahr damit ein Fundament legen, das einerseits die Finanzierbarkeit der Haushalte von Bund und Ländern durch mehr Kontinuität bei den Unternehmenssteuereinnahmen und die Rückholung von Schwarzgeld aus dem Ausland kurzfristig sichert. Und das andererseits die Steuerzahler vor unsinnigen Geldschneidereien wie der Dienstwagen- oder Blumensteuer schützt.

Zugegeben, auch dann bleibt der Finanzminister noch eine grundsätzliche Antwort darauf schuldig, wie in Zukunft eine Balance geschaffen werden soll zwischen notwendigen staatlichen Ausgaben und Steuerzahlungen, die der Wirtschaft Luft zur Erholung lassen. Doch wenn linke Rufe nach Vermögenssteuern erst einmal verhallen, so wie es jetzt aussieht, und die Total-Blockade von SPD, Union und den Bundesländern bricht (und auch danach sieht es aus), dann ist das vor dem Hintergrund der nervösen Finanzstreitereien der jüngsten Vergangenheit schon mal ein Fortschritt. Denn es dämmt die Gefahr neuer Steuererhöhungen genauso wie unkontrollierter staatlicher Investitionsprogramme, die zu nichts anderem als zu noch mehr Schulden führen.

Und es könnte das Vertrauen der Unternehmen in die Handlungsfähigkeit der Politik wieder ein wenig stärken, so dass sie investieren und Arbeitsplätze schaffen. Neue Jobs, auf die nicht nur die 4,6 Millionen Arbeitslosen warten. Die auch gebraucht werden, damit die Reformen am Arbeitsmarkt, die Regierung und Opposition im Winter angeschoben haben, nicht am Widerstand von Gewerkschaften und Sozialpolitikern scheitern.

Glaubt man Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, den Fraktionschefinen der Grünen, der FDP und der Unionsspitze, die an diesem Wochenende allesamt die rasche Senkung der Lohnnebenkosten zum Ziel erklärt haben, dann könnte man sogar annehmen, dass endlich auch das unübersichtliche Puzzle der Sozialreformen Struktur annimmt. Zweifellos werden vor allem in den Volksparteien, aber auch bei den Grünen, noch so manche sozialschwärmerische Querschläger im Namen der Gerechtigkeit gegen Neuordnungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung oder die Aussetzung der Rentenanpassung opponieren. Und die im Herbst und kommenden Frühjahr anstehenden Landtagswahlen werden aus einigen Ärmelaufkrempel-Reformern Bedenkenträger machen.

Das allein schreckt jedoch nicht. Solch umfangreiche Veränderungen, wie sie jetzt anstehen, werden für viele Menschen einschneidende Folgen haben und brauchen deshalb auch kontroverse Diskussionen. Vielleicht genauso wie außergewöhnliche Situationen zum Konsens über alle Parteigrenzen hinweg führen und in der Politik aus scheinbar Unmöglichem Mögliches werden lassen.

Ante Sirleschtov

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