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Was bleibt vom alten Westen? Außer Nutella?

© a-Fotopdpa:

Kollektive Erfahrungen zwischen Rendsburg und Rosenheim?: Wo bleibt die Dritte Generation West?

Ostdeutsche Wendekinder nennen sich die „Dritte Generation Ost“. Aber was ist mit den Westdeutschen? Der Westler ist nichts, außer dem, was die anderen nicht sind: kein DDR-Geborener, kein Migrantenkind. Er ist die Abgrenzungsvorlage ohne einen selbst definierten Kern.

Auch das sind vergangene Zeiten: dass die Eltern in Dithmarschen die Koffer packten, den Pkw beluden, die Kinder hinten nicht anschnallten und mit Travelers cheques und einigen D-Mark als eiserne Reserve an die französische Atlantikküste fuhren, wo sie während eines dreiwöchigen Campingaufenthalts mindestens einmal als Nazi beschimpft wurden. Dass die Renten sicher waren, die Kassen voll und die Möglichkeiten ungezählt. Dass Geld mit Arbeit verdient wurde und die Gier beherrschbar schien.

Sind das Kollektiverfahrungen der Dritten Generation West? Der Wer-wie-was-Generation?

Es ist eine Debatte in Gang gekommen. Sie dreht sich um die jungen Leute des Landes, die gebürtig aus der untergegangenen DDR stammen, um die Jahrgänge 1975 bis 1985, so haben sie es selbst festgelegt und sich „Dritte Generation Ost“ genannt. Bisher reden nur sie, aber für die Zukunft laden sie die gleichaltrigen Nachfahren von Einwandererfamilien ein und alle, die in den letzten Jahren der alten BRD geboren wurden: die Dritte Generation West.

Kollektive Erfahrungen zwischen Rendsburg und Rosenheim?

Doch wer ist das? Während die Fantasie kaum Mühe hat, sich eine Biografie zur Dritten Generation Ost auszudenken oder die Geschichte eines heute 25- bis 35-jährigen Deutschtürken, ist es schwierig, das zu finden, was als gemeinsame Erfahrungen der Vorwende- Westdeutschen gelten kann. Haben die in ihren Kinderzimmern zwischen Rendsburg und Rosenheim kollektive Erfahrungen gemacht? Welche? Haben sie eine gemeinsame Geschichte, vielleicht gar ein gemeinsames Anliegen?

Noch ist im Westen Schweigen. Möglicherweise ist es das Schweigen derjenigen, die sich bewusst sind, dass sie bloß zufälligerweise auf der Seite lebten, die in der Konkurrenz der Systeme übrig geblieben ist. Die wollen das „West“ in diesem Zusammenhang, als Sieger-Attribut, nicht annehmen, weil sie nicht gekämpft haben.

Für viele Westdeutsche gilt, dass sich 1989/90 Weltgeschichte zwar in ihrem Land abgespielt hat, sie aber persönlich kaum betraf. Die Wende ist bis heute eine ostdeutsche Angelegenheit, in der Westler vor allem die Rollen der Geldmacher, Ganoven oder Wichtigtuer spielen. Alle anderen haben in den vergangenen Jahren vor allem viel nicht gemacht: Sie haben nicht – und sei es als Grundschüler – im Zentrum gestanden, als ein System zusammenbrach, sie haben nicht erlebt, wie ihre Eltern scheiterten an den neuen Umständen, sie mussten sich nicht neu verorten, keine Identitätskrise meistern. Zwar ging auch für sie eine Zeit zu Ende – aber ohne historischen Donner. Es waren bloß ihre eigene Kindheiten, die aufhörten. Und so fehlt im Westen dieser mühelose Anknüpfungspunkt für ein gemeinsames Erzählen, dieses wunderbar einigende „Was die Wende mit mir gemacht hat“.

Der alte Westen ist nichts, wozu man sich lebensgefühligerweise gern bekennen will

Die Westler waren schon damals individualistische Konsumenten in einer großen, bunten Warenwelt, was im Osten einst attraktiv erschien, aber heute nicht mehr, schließlich kennt man inzwischen die Schattenseiten dieser Existenzform. Man könnte sagen: Der alte Westen ist nichts, wozu man sich lebensgefühligerweise gern bekennen will. Er ist im Vergleich zu den Fundamentalproblemen, Tranformationsherausforderungen und sonstigen Megagewichtigkeiten der Andersstämmigen lasch, langweilig und hohl.

Also hört man heute von dort nichts. Was auch?

Das im Westen verbreitete Lebensgefühl war ein defensives. Angefangen von Nazi-Schuld über das unverdient erlebte Wirtschaftswunder, die ganzen Freiheiten, die einem zugefallen waren. Man hatte damit nicht herumzutrumpfen. Man hatte leise zu sein und Platz zu machen und sich ja nicht zu organisieren und laut zu werden. Das hat sich bis heute gehalten. Der Westler ist nichts, außer dem, was die anderen nicht sind: kein DDR-Geborener, kein Migrantenkind. Er ist die Abgrenzungsvorlage ohne einen selbst definierten Kern. Und um Selbstdefinition geht es.

Die letzten erinnerbaren Anstrengungen aus dem Westen in diesem Fach hießen „Null Bock“, das waren die Faulpelze, oder „Generation Golf“, das waren die Hohlköpfe. Zum Anknüpfen eignet sich beides nicht.

Die „Dritte Generation Ost“ spricht über Wende-Erfahrung jenseits von Stasi und Menschenrechtsverletzungen als persönliche Empfindung. Sie beginnt damit ihre neue Erzählung vom vereinigten Deutschland. Es ist nicht leicht, sich auszumalen, was die jungen Westdeutschen – wenn sie nicht nur Zuhörer sein sollen – dazu beitragen können. Aber vielleicht fangen sie mal an, darüber nachzudenken.

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