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Auf immer verbunden? Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone ist wahrscheinlicher geworden.

© Axel Schmidt / dapd

Kolumne: Europas Eliten verbreiten die Parolen des Honecker-Sozialismus

Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Diese Devise ist unter Politikern weit verbreitet, wenn es um die Entwicklung Europas geht. Doch Griechenland muss aus dem Euro austreten dürfen, sagt unser Autor.

Eigentlich muss man den Griechen dankbar sein. Sie haben deutlich gesagt, dass sie die Politik des Rettens um jeden Preis nicht wollen. Auch wenn das Votum widersprüchlich erscheint, weil sie zugleich am Euro festhalten möchten, dürfte es den übrigen Europäern eine lange Agonie ersparen. Denn da es den Euro auf anderer Leute Kosten auf Dauer nun einmal nicht gibt, wird Griechenland wohl oder übel die gemeinsame Währung aufgeben müssen, um in der Abwertung der Drachme neue Chancen zu suchen und zu finden. Schließlich ist es kein Lebensgesetz, dass die Leute lieber in der Türkei statt auf dem Peleponnes Urlaub machen.

Europa, so tönt es oft in Festreden, ist der Kontinent von Demokratie und Selbstbestimmung, von Aufklärung und rationalen Entscheidungen. Doch seitdem sich der europäische Traum zur Ideologie verfestigt hat, ist das mit der Selbstbestimmung so eine Sache. Vorwärts immer, rückwärts nimmer, hieß eine Parole des Honecker-Sozialismus und ganz ähnlich betrachten die europäischen Eliten das große Projekt Europa. Rein darf man, raus nimmermehr. Alternativlos nennt das Angela Merkel und fürchtet bei jedem „Rückschritt“ gleich um Europa selbst und den Frieden zwischen seinen Völkern.

Dem Tabu der unveränderbaren Währungszone entspricht das Tabu der unverrückbaren Grenzen. Selbstbestimmung ja, aber nur in den Grenzen der Vorortverträge von Trianon und St. Germain aus dem Jahre 1919. Was schon damals ungerecht und ein Diktat der Sieger war, hat sich trotz aller Bekenntnisse zu einem grenzenlosen Europa nicht verflüssigt. Noch immer fürchtet man in Brüssel, Berlin und Paris das Rutschen des Ganzen, sprich die Infragestellung aller Grenzen zwischen den ungefestigten Halbnationalstaaten des Balkans. Es ist schon merkwürdig, aber ausgerechnet lupenreine Demokraten folgen nachdrücklich den Gleichgewichtsprinzipen Metternich’scher Politik. Doch was im Zeichen des Wiener Kongresses sinnvoll und richtig war, in Versailles aber bereits ein ungerechter Mix aus zwei widerstreitenden Prinzipien – dem Wilson’schen Selbstbestimmungsrecht und den älteren europäischen Vorstellungen von Machtbalance und Eindämmung – verkommt nun endgültig zum inneren Widerspruch in einem demokratischen Europa.

Und so kann man im Nordkosovo beobachten, wie eine serbische Bevölkerung gegen ihren Willen in einem Staat gehalten wird, in dem sie nie und nimmer leben will. Selbstbestimmung für die Kosovo-Albaner ja, für die Serben im Kosovo nicht. Das entbehrt jeder demokratischen Logik. Und wieder einmal gilt der Europäischen Union als alternativlos, was niemals die Chance einer Alternative hatte.

Man muss kein Schwarzseher sein, um der selektiven Inanspruchnahme von grundlegenden europäischen Werten keine dauerhafte Zukunft zu prophezeien. Dabei sind die Verletzungen nicht auf den Osten unseres Kontinents beschränkt. Schließlich fragen sich auch immer mehr Südtiroler, warum sie gegen ihren Willen bei Italien bleiben müssen, gar nicht zu reden von den ungarischen Minderheiten in den von einer Grenzziehung der Sieger konstituierten Nachbarstaaten. Und selbst die Schotten möchten den Unionsvertrag mit England von 1707 sobald wie möglich aufkündigen.

Nun ist es zwar richtig, dass man historische Ungerechtigkeiten nicht immer korrigieren kann. Schlesier und Sudetendeutsche haben das am eigenen Leib erfahren müssen. Allerdings gibt es auch keinen Grund, einmal begangenes Unrecht für sakrosankt und unverrückbar zu erklären. Wenn Europa nun einmal stolz darauf ist, Demokratie und Selbstbestimmungsrecht zur Lösung seiner Konflikte erfunden zu haben, muss das auch für Griechen, Serben, Ungarn und Südtiroler gelten, ganz gleich, ob das Ergebnis am Ende nützlich oder wenig hilfreich ist. Schließlich können wir unsere Grundwerte nicht davon abhängig machen, ob ihre Umsetzung den politischen und wirtschaftlichen Eliten passt. Anderenfalls verlieren die Europäer das Recht, Russland, China und andere immer wieder pharisäerhaft zur Einhaltung dieser Grundsätze zu mahnen.

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