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Autor Matthias Kalle.

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Kolumne "Ich habe verstanden": Olympia! Was ist aus dir geworden?

Nach zwei Witzveranstaltungen in Peking und Athen könnte London den olympischen Spielen ihre Leichtigkeit zurückgeben, meint unser Kolumnist Matthias Kalle. Voraussetzung ist nur, dass wir die Eröffnungsfeier im ZDF überleben.

Ich bin ja mitunter auch so ein kritischer Kopf, mir kann man ja nix erzählen, natürlich weiß ich folgendes: Die Geschichte der olympischen Spiele ist immer auch eine Geschichte über Schweinerein, über Gauner, Lügner, Betrüger, über Diktaturen, Korruption, Kommerz, und wenn jetzt die Welt auf London schaut, auf die olympischen Sommerspiele, dann sieht die Welt schwer bewaffnete Soldaten zum Schutz gegen Terrorangriffe, die Logos von Getränkeherstellern und Imbissbudenketten, alte Funktionäre, die sich dauernd über irgendwas diebisch freuen. Und die Welt weiß auch, dass das alles Unsummen kostet, dass es genug Bürger der Olympiastadt London gibt, die gegen die Spiele waren und sind. Nicht wenige werden sich in diesen Tagen also denken: „Mensch, Olympia! Du warst mal eine so schöne Idee – aber was ist bloß aus Dir geworden?“

Tja. Gute Frage. Vor allem, wenn man bedenkt, wie die vergangenen zwei Sommerspiele so waren: 2008 in Peking wurde aus Olympia eine Propagandaveranstaltung für die chinesische Diktatur, es gab von allem lächerlich Zuviel; 2004 in Athen fanden die vielleicht langweiligsten Spiele aller Zeiten statt – in einer Stadt, deren Bewohner sich für Olympia überhaupt nicht interessierten, mit der Farce im Vorfeld um griechische Sportler, die sich mit einem fingiertem Unfall einer Dopingkontrolle entziehen wollten – die beiden letzten Olympischen Sommerspiele waren irgendwie Witzveranstaltungen, in ihrer Absurdität nur noch zu toppen von den Coca-Cola-Spielen in Atlanta 1996.

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Aber, ach, es geht natürlich auch anders, besser: die Spiele von 2000 in Sydney waren schöne, tolle Spiele im Herzen einer sportbegeisterten Stadt, deren Heldin Cathy Freeman hieß und zu den großen Heldengeschichten von Olympia ein Kapitel beisteuerte. Auch die zwei Wochen von Barcelona 1992 waren gelungene Spiele, und als zwei Jahre später die „grünen“ Winterspiele im norwegischen Lillehammer stattfanden, konnte man sich mit der olympischen Idee vollends versöhnen.

Olympiafieber in London

Ich weiß, wovon ich schreibe, seit 1984 schaue ich mir die Olympischen Spiele im Fernsehen an, es gibt kaum etwas, dass besser in die Sehnsuchtsmaschine Fernsehen passt als die Mythenmaschine Olympia. Ich schau mir alles, kein Wettbewerb, der mich nicht interessiert – und wer schon mal in voller Länge Bogenschießen geschaut hat, der weiß, dass jeder „Tatort“ eine spannungsarme Kitschgeschichte ist. Ich habe durch die Übertragung er Marathonläufe mehr über die jeweiligen Städte gelernt, als ich es getan hätte, wenn ich vor Ort gewesen wäre. Ich bin mitten in der Nacht aufgestanden, um mich von Ben Johnson betrügen zu lassen, als er Carl Lewis 1988 in einer Art und Weise davon lief, wie man es noch nie gesehen hatte. Ich war gerührt von dem Eistanz des Paares Jayne Torvill und Christopher Dean 1984 in Sarajewo, begeistert von Dream Team 1992 in Barcelona und immer mal wieder überrascht, weil immer mal wieder etwas passierte, mit dem keiner rechnete, mit dem keiner rechnen konnte – große Momente, kleine Momente: gab es immer, wird es immer geben.

Trotzdem gibt es immer auch die Frage, ob man als kritischer Kopf, der man ja so gerne sein möchte, die Olympischen Spiele schauen darf, schauen kann, schauen soll – oder ob man sich damit schon in die konsumorientierte Bewusstlosigkeit begibt und Athleten bewundert, die mehr Medikamente in sich reinstopfen als das ein kranker Mensch jemals tun würde? Ich glaube: ja. Weil London und seine traditionell sportbegeisterte Einwohner den Spielen eine Leichtigkeit zurückgeben könnten, wie es die Bürger Sydneys vor zwölf Jahren gemacht haben. Weil die Sportstätten ohne den Bombast von Peking ausgestattet wurden, dafür mit einer Leichtigkeit, die an Barcelona vor 20 Jahren erinnert. Und weil das ZDF, nach dem es die Europameisterschaft in den Sand von Usedom gesetzt hat, einiges gut zu machen hat. Die Eröffnungsfeier kommentiert Wolf-Dieter Poschmann. Das ist allerdings kein gutes Zeichen.

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