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Kolumne: Jens Mühling lernt Türkisch: „Durgunluk“ heißt „Stagnation“

Mein Türkisch stagniert. Ich lerne höchstens ein neues Wort pro Woche, das ist zu wenig. Wenn ich so weitermache, werde ich allein zehn Jahre brauchen, um den aktiven Wortschatz von Konrad Adenauer zu erreichen, den Kurt Schumacher einmal auf 500 Wörter veranschlagte. Ich will nicht zehn Jahre brauchen, um am Ende wie ein türkischer Konrad Adenauer zu klingen, ich muss etwas tun.

An Anfang dachte ich, ich könnte Türkisch einfach „auf der Straße“ lernen – beim Bäcker, am Kiosk, im Gemüseladen. Zunächst lief das auch ganz gut, ich kann inzwischen einigermaßen fließend sagen, wie ich heiße, wie alt ich bin und – mit viel Gestikulieren – was ich haben will. In letzter Zeit aber bin nicht nur ich selbst unzufrieden mit meinen Fortschritten, auch bei meinen Gesprächspartnern stelle ich eine gewisse Ermüdung fest. Ist ja auch viel verlangt, dass sie sich immerzu freuen sollen, nur weil ein Deutscher auf dem Niveau eines Anderthalbjährigen Türkisch spricht.

Bei der Suche nach alternativen Lernmethoden stieß ich auf eine Berliner Sprachschule, die mit einem Zitat von Christoph Neumann wirbt, dem Übersetzer von Orhan Pamuk: „Stell dir vor, du bist ein Marsmensch und landest auf der Erde. Du hast nur 48 Stunden Zeit, eine Sprache zu lernen. Absolut logisch soll sie sein und mindestens ein Prozent der Weltbevölkerung soll sie sprechen. Ganz klar: Der Marsmensch wird Türkisch lernen.“ Ganz überzeugt hat mich das nicht. Es kann nicht sein, dass als Rollenvorbilder für Türkischlerner nur Konrad Adenauer und Außerirdische zur Verfügung stehen.

„Ist ganz einfach“, sagte der Kioskbesitzer von nebenan, als ich ihn zu Rate zog. „Musst du dir türkische Freundin klarmachen.“ Auch das kann nicht die Lösung sein.

Bei der Entscheidungsfindung kommt erschwerend hinzu, dass ich gerade ganz andere Probleme habe. Mich hat kürzlich ein Bekannter aus Moskau kontaktiert. „Ich bin Ende Oktober in Berlin, mit ein paar Freunden“, schrieb Sergej. „Wir haben einen Film gedreht und sollen ihn bei einem Festival zeigen. Können wir bei dir wohnen?“ Klar, schrieb ich zurück, kein Problem.

Erst am nächsten Tag kam ich ins Grübeln. Sergej ist im Hauptberuf Marketing-Stratege und im Nebenberuf Comic-Entwickler. Er hat es in Russland zu einiger Berühmtheit gebracht, mit einem Comic namens „Superputin“, über den viel geredet wird, weil niemand richtig versteht, ob Putin darin als Superheld oder als Superschurke dargestellt wird. Nicht einmal Sergej ist sich da ganz sicher, glaube ich. Dass er auch Filme macht, war mir jedenfalls neu. Aus Neugier googelte ich, ob in Berlin Ende Oktober irgendein Trickfilm-Festival stattfindet, aber das einzige Film-Event, auf das ich stieß, war eine obskure Porno-Veranstaltung, die konnte es nicht sein.

„Was für ein Film ist das eigentlich, den ihr da zeigt?“, fragte ich Sergej in der nächsten Mail.

„Oh“, schrieb er zurück, „was Erotisches. Wir sind Finalisten beim Porno-Filmfestival Berlin.“

Nun harre ich der Dinge, die da auf mich zukommen. Wahrscheinlich werde ich Ende Oktober ein paar interessante neue Russisch-Vokabeln lernen, während ich gleichzeitig in einem Türkisch-Kurs sitze und die üblichen Sprachanfänger-Fragen durchdekliniere: Wie heißt du, wie alt bist du, wie viele Geschwister hast du, was ist dein Beruf ... ? Ein bisschen graut mir vor der Frage nach meinen Wohnverhältnissen. Die Antwort habe ich mir vorsichtshalber schon mal von einem türkischen Bekannten übersetzen lassen: „Apartman dairemi bir rus porno film ekibiyle paylasiyorum.“ Auf Deutsch: Ich teile mir eine Wohnung mit einem russischen Porno-Filmteam.

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Esther Kogelboom und Jens Mühling.

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