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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

© promo

Kolumne "Meine Heimat": Fangen Sie an, machen Sie Kinder!

Den Deutschen wird oft Kinderunfreundlichkeit unterstellt. Unsere Autorin hat allerdings ganz andere Erfahrungen gemacht. Und wünscht sich nun, sie hätte mehr Kinder bekommen.

Ich war mit Kindern unterwegs. Das ist eigentlich nichts Besonderes, wenn man selbst eines hat. Aber es waren neun. Pädagogisch-wertvoller Umgang ist kein angeborenes Talent von mir. Alles, was ich über Kinder weiß, habe ich mir in mühevoller Kleinarbeit entweder durch Erfahrung oder mit Ratgebern angeeignet.

Liegt das uns Deutschen attestierte Attribut der Kinderunfreundlichkeit vielleicht darin begründet, dass Kinder wie eine Angelegenheit behandelt werden? Wir haben das Betreuungsgeld, Rechtsansprüche, das Kindergeld und sogar der Unterhalt ist in einer Tabelle festgelegt. Es gibt Spielflächenkonzepte, ambulante und stationäre Jugendhilfe, gebundene, teilgebundene und ungebundene Ganztagsschulkonzepte, bilinguale Kindertagesstätten und sogar ein Förderprogramm für pränatales Singen. Viele dieser Anstrengungen sind halbherzig und daher vielleicht auch Abbild einer Gesellschaft, die Kinder als statistische Größe wahrnimmt.

Mir ist der Unterschied in der Türkei aufgefallen. Die Chancen auf eine gute Ausbildung sind in Deutschland bei allen Defiziten besser, vermute ich. Aber worauf ich hinaus will ist, dass Kinder in der Türkei überall dabei sind, man ist umzingelt von ihnen, jeder nimmt Rücksicht auf sie und passt mit auf. Sie sind mittendrin, nicht als etwas Besonderes, sondern voll integriert in den Alltag. Und daher ist es auch völlig normal, dass man sie hat, während man hierzulande überlegt und abwägt, wann man sie sich leisten kann. Und wenn man sie dann hat, sind sie ein Kostenfaktor und bedeuten Abstriche bei Karriere, Wohnraum und Rente.

Aber das ist, wie ich bei unserem Ausflug feststellen musste, nur die halbe Wahrheit. Zumindest, dass Deutschland seine Kinder nicht mag. Unser Ausflug zog sich hin. Wir nahmen die S-Bahn, dann noch eine S-Bahn und begegneten auf unserem Weg ausschließlich, ich muss es wirklich noch einmal wiederholen, ausschließlich freundlichen, zuvorkommenden und hilfsbereiten Menschen. Ich habe mir das wirklich genau angeschaut, ob nicht doch einer mürrisch reagiert. Niemand, der gemeckert hätte. Stattdessen zauberten die Kinder jedem ein Lächeln auf das Gesicht.

Lassen Sie es mich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Wenn ich geahnt hätte, dass die kleinen Racker so erfüllend sein können, hätte ich früher angefangen und würde jetzt mit meinen eigenen neun Kindern Ausflüge machen. Am helllichten Tag, mitten in der Woche, würde ich mir einfach so den ganzen Tag freinehmen.

Uns ist die Selbstverständlichkeit für Kinder abhandengekommen. Leider habe auch ich mich von diesem Individualitäts-, Selbstverwirklichungs- und Karrieregeschwätz zu viele Jahre einwickeln lassen. Das ist der Grund, warum ich heute zu den Spätgebärenden zähle und ein Einzelkind habe. Diesen lächelnden Menschen möchte ich deshalb zurufen: Los, fangen Sie an, machen Sie Kinder. Ja, sie sind kleine Monster, rauben uns den letzten Nerv, kosten ein Vermögen. Aber dafür sind sie auch der größte Schatz unseres Lebens.

Oder wie mein Vater sagen würde: „Cocuk evin meyvesidir“ – Kinder sind die Früchte eines Hauses.“

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