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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Kolumne "Meine Heimat": Jeder hat Mitleid, aber Brot gibt niemand

Unsere Kolumnistin hilft gerne, ärgert sich aber, wenn ihr ehrenamtliches Engagement ausgenutzt wird.

Kennen Sie das, wenn Sie millimeterweise in eine Richtung gedrängt werden und die Entwicklung eine derartige Dynamik entfaltet, dass es kaum noch ein Zurück gibt? Das hat vermutlich jeder schon erlebt, dem es schwerfällt, „Nein“ zu sagen. Ich gehöre dazu.

Viele von uns engagieren sich ehrenamtlich, vom Elternbeirat, der Freiwilligen Feuerwehr, der Selbsthilfegruppe, der Bürgerinitiative, der politischen Partei, der Gewerkschaft bis hin zur Kirchengemeinde. Das machen wir entweder, weil wir der Allgemeinheit etwas zurückgeben wollen, oder weil wir selbst von einem Missstand betroffen sind. Manchmal aber auch, weil wir einfach Freude daran haben, uns einzubringen, irgendwo in unserer Gesellschaft.

Ehrenamt ist freiwillig und wird nicht entlohnt. Man braucht also eine finanzielle Freiheit, um den Blick auf andere richten zu können, ob als Hobby oder aus tiefster Überzeugung. Meine Überzeugungen stürzen mich allerdings in ein Dilemma. In Schulen und Kindergärten motiviere ich Kinder zum Lesen, ich bin in Stiftungen tätig, engagiere mich für ein Miteinander der Kulturen, als Lesepatin besuche ich Migrantenkinder zu Hause, und ich engagiere mich für die frühkindliche Bildung. Das frisst Zeit und kostet Energie, weil man ja auch möchte, dass das Engagement fachlich fundiert ist. Ich finde, jeder Bürger muss seinen Beitrag leisten, damit wir ein gutes und faires Zusammenleben hinbekommen. Aber ich lebe vom Schreiben, was schwer genug ist. Und manchmal werde ich nach meiner Einschätzung gefragt, weil ich mir in jahrelanger Arbeit eine gewisse Kompetenz im Bereich der Integration angeeignet habe.

Für die Broschüre eines Bundeslandes zum Beispiel sollte ich einen Beitrag verfassen, ein niederländischer Fernsehsender bat mich um ein Interview, ein deutscher Rundfunksender um eine Stellungnahme, und in Frankfurt lud man mich auf ein Podium. Und für was? Für lau.

Wie bloß soll ich denen erklären, dass eine Woche begrenzte Arbeitsstunden hat, bei jedem Einsatz der Babysitter anrücken muss und die vielen Stunden in Zügen und auf Bahnhöfen keine Freizeitaktivität sind? Neulich sollte ich auf einer Veranstaltung eines großen Konzerns einen Vortrag halten. Meine Nachfrage, wie denn meine Arbeit honoriert würde, führte zuerst zu Irritationen und anschließend zu tiefer Enttäuschung. Schließlich bekäme ich doch die einmalige Gelegenheit, wichtige Leute kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen.

Nun, war meine Antwort, ich sei aber nicht auf der Suche nach einem Golf spielenden Ehemann, sondern wolle lediglich für meine Arbeit angemessen bezahlt werden. Wie laut wäre wohl der Schrei nach einem Betriebsrat, wenn die Eventdame dieses Weltkonzerns die Veranstaltung lohnfrei hätte organisieren müssen?

Oder wie mein Vater sagen würde: „Aciyan cok ama ekmek veren yok“ – jeder hat Mitleid, aber Brot gibt niemand.

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