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Tagesspiegel-Kolumnistin Pascale Hugues liest und diskutiert im Tagesspiegel-Salon.

© Thilo Rückeis

Kolumne "Mon Berlin": Hitlers Schnurrbart ist die Baskenmütze der Deutschen

Unsere Autorin schreibt eine kleine Kulturgeschichte des Hitlerbärtchens: Von Louis de Funès bis zu zyprischen Demonstranten.

Ein kleines Trostpflaster im Exil, wenn mich das Heimweh packt. Vor ein paar Tagen habe ich „Grand Restaurant“ – auf Deutsch „Scharfe Kurven für Madame“ – gesehen, einen Klassiker des französischen Kinos, der Kindheitserinnerungen sprudeln lässt und ein starkes kulturelles Zugehörigkeitsgefühl weckt. Monsieur Septime alias Louis de Funès ist der tyrannische Besitzer eines Pariser Gourmettempels. Jeden Abend kontrolliert er, ob es seinen Gästen an nichts fehlt.

Herr Müller, ein deutscher Gast, bittet ihn um das Rezept für das Kartoffelsoufflé. Während Louis de Funès in deutscher Sprache die Zutaten aufzählt: „1 Kilogramm Kartoffeln. 1 Liter Milch. 3 Eier. 90 Gramm Butter“, zeichnet der Schatten einer Deckenlampe ihm einen dichten schwarzen Schnurrbart auf die Oberlippe. „Und Muskatnuss, Herr Müller! Muskatnuss! Haben Sie verstanden, Herr Müller?“, tobt Louis de Funès mit der unverwechselbaren hysterischen Stimme des Führers und füsiliert den armen verdatterten Deutschen mit den Blicken. Ein gelungener Gag. In unseren Fauteuils kugelten wir uns vor Lachen. Der Film kam 1966 in die Kinos. Millionen Franzosen lachten Tränen über Hitler.

20 Jahre nach Krieg, Exodus, Kapitulation, Besatzung brauchten die Franzosen dieses Ventil. Louis de Funès war unwiderstehlich komisch. Vielleicht lachte man sich die düstere Vergangenheit aus den Knochen. Ein befreiender und notwendiger Übergang. Zur gleichen Zeit gestalteten de Gaulle und Adenauer die deutsch-französische Aussöhnung.

Welche Funktion hat Hitlers Schnurrbart aber im Jahr 2013? Seit ein paar Monaten begrüßen mich, wenn ich die Zeitung aufschlage, unter Garantie Dutzende von Schnurrbärten à la Hitler. In der zyprischen und griechischen Presse wird Angela Merkel ein Führerschnäuzer angeklebt. Jetzt ist es aber kein pfiffiger Gag mehr, der Heiterkeit und Katharsis auslöst, sondern hinter diesem Akt der Rebellion steht eine dumpfe Wut. Die Bundeskanzlerin drückt das europäische Portemonnaie fester zu und verlangt Sparsamkeit als Gegenleistung für Finanzhilfen. Schluss mit Widerspruch und sachlichem Dialog. Hopp, schon klebt man ihr einen Schnurrbart an und basta. Die Kanzlerin schweigt. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als diese üble und überhaupt nicht lustige Beleidigung zu ignorieren.

Hitlers Schnäuzer ist der berühmteste auf der ganzen Welt. Berühmter als Kaiser Wilhelms Zwirbelbart oder als Salvador Dalís extravagante Version. Seit Generationen ist er allgegenwärtig: als Graffiti auf Hauswänden, auf Wahlplakaten, auf den Oberlippen von Werbeikonen und Schauspielern, auf Schultischen. Hitler scheint seine Gesichtshaare überall hinterlassen zu haben.

Für die Deutschen ist Hitlers Schnurrbart das, was Baskenmütze, Rotweinflasche und Baguette für die Franzosen sind, die Melone für die Engländer, der Strohhut des Gondoliere für die Italiener. Mit einem Unterschied allerdings. Die den Völkern angedichteten Klischees – Franzosen: Bonvivants und ein bisschen Hallodri, Engländer: distinguiert und ein wenig schrullig, Italiener: Papagalli, Latin Lovers, die auf den Kanälen von Venedig schnulzigen Belcanto trällern – all diese Klischees sind wesentlich schmeichelhafter als das Hitlerbärtchen. Baskenmütze, Melone und Strohhut sind sicher sehr vereinfachende und völlig anachronistische Symbole, aber bösartig sind sie nicht.

Die Deutschen haben ein Recht darauf, dass man sie nicht bei jeder Kleinigkeit mit der Nase auf die schrecklichsten Jahre ihrer Geschichte stößt. Man könnte meinen, die Zyprer, die Griechen und andere hätten in ihrer blinden Wut übersehen, dass die Deutschen sich grundlegend geändert haben. Die Deutschen dürfen sich glücklich schätzen, wenn die Karikaturisten sie statt mit dem Schnäuzer mit einer Pickelhaube (auch nicht sehr nett, aber weniger übel) oder mit bayerischem Dirndl/Lederhose/blonden Zöpfen/Brezel und Bockbier ausstatten. Folkloristisch, etwas einfältig, aber nicht furchteinflößend.

Stellen Sie sich doch zum Beispiel mal die Reaktion der Franzosen vor, wenn man ihnen bei jeder Gelegenheit Kepi und grauen Moustache des großen Kollaborateurs Pétain verpassen oder die Italiener ununterbrochen in Diktatoren à la Mussolini verwandeln würde.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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