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Tagesspiegel-Kolumnistin Pascale Hugues liest und diskutiert im Tagesspiegel-Salon.

© Thilo Rückeis

Kolumne: Mon Berlin: Mozart ist kein Promi!

Die jüngere Generation spielt Stadt-Land-Fluss unter anderem mit den Kategorien "Promi" und "Marke". Unsere Kolumnistin kann da nur schwer mithalten.

Wir spielen gerade Stadt- Land-Fluss, den klassischen Fluchthelfer an einem verdorbenen Tag im August, wenn die Strandkörbe am Strand aussehen wie umherdriftende Flöße in der entfesselten Nordsee. Ganze Generationen haben gekritzelt „A“: Argentinien, „R“: Rio Grande oder Rhein, „B“: Bern, Berlin, Buenos Aires … Ein Zeitvertreib, der Geschwindigkeit und Allgemeinbildung vereint. Lustig und pädagogisch wertvoll zugleich. Was will man mehr?

Außer, dass die von den altmodischen geografischen Großtaten der Älteren ermüdete neue Generation („Oh Mann, keine Flüsse mehr, die sind doch megablöd“) neue Kategorien eingeführt hat: „Promi“ und „Marke“. Perfekt auf der Höhe der Zeit. Und ich, ein Ass in dem Spiel, die den Strandflüchtlingen so gern mein Können vorführen möchte, ich scheitere an der Marke. M – während meine jungen Mitspieler eifrig schreiben, sitze ich mit leerem Kopf da und kaue nervös auf meinem Bleistift herum. Als ich ein Kind war, gab es bei „M“ schließlich nicht viel. In den Supermärkten standen nur ein oder zwei Marken Joghurt, Waschpulver, Pasta – Eiernudeln, sagte man damals. Nichts, um die Fächer rasend schnell auszufüllen. Pech. Ich passe. Im allerletzten Moment weist der Mercedesstern mir den Weg. Gerettet! Auf zur nächsten Spalte.

„Promi“. Ich schreibe Mozart. Ich lege den Stift hin und schreie Stopp. Strahlend. Ich bin die Erste. Die Kinder plagen sich noch mit dem Fluss, auf dem ich bestanden habe, um meine Chancen zu erhöhen. M…, M…, ich höre sie stöhnen, sie heben die Augen zu den grauen Regenwogen, die sich am Fensterglas brechen. M wie Mozart. Für mich völlig klar. „Mozart ist kein Promi!“, rufen drei Stimmen entsetzt aus. Mein Triumph zerspringt in tausend Stücke. Ich fühle mich, als hätte mir jemand einen Schlag ins Gesicht versetzt. Als hätte ich mich für den letzten Loser entschieden. Wie, kein Promi? Wollt ihr mich auf den Arm nehmen? Ich versuche zu argumentieren: 171 000 000 Einträge bei Google. Im KaDeWe ein ganzer Stand mit kleinen Schokoladekugeln, die nach ihm benannt sind. Ich will nicht kapitulieren. Ich schlage mit der Faust auf den Tisch. „Ey“, antworten die Kinder, „chill mal down. Wir haben gesagt, Promi, nicht Retro. Capito?“

Aber was versteht ihr denn unter einem Promi? Wenn Mozart keiner ist, dann fress ich einen Besen. Nacheinander lesen die anderen vor, was auf ihren Blättern steht: H wie Holmes. Holmes? Katie Holmes! Bei B habe ich Baudelaire notiert, sie Bond, James Bond. Bei D habe ich Diderot gewählt, sie Detlef. Detlef??? Wer um Gottes Willen ist denn Detlef? Atemlos hetze ich hinter dem großen Medienzirkus her, in dem TV-Stars und Sternchen sitzen, die Helden der Castings und Quizshows, die Coolen und Geilen von heute. Ich stolpere bei jedem Schritt. Meine Promis sind nicht mehr von dieser Welt, vergangener Ruhm, der ein bisschen ranzig riecht. Wie eingebildet ich bin! Mozart wäre bei „Deutschland sucht den Superstar“ ganz sicher ausgeschieden. Ja, gedisst … von Detlef.

Das Spiel ist vorbei. Ich habe verloren. Ich beobachte fassungslos die sommerliche Sintflut hinter den Fensterscheiben. Es ist nicht leicht, sich Mozart in der „Gala“ vorzustellen. Wolfgang Amadeus im Smoking in einer munteren Promischar, die Frauen alle dekolletiert und in Paillettenkleidern, aneinandergekleistert, das dämliche Lächeln auf die Objektive der Paparazzi gerichtet. Oder Mozart, wie er mit einer Champagnerflöte in der Hand mit der Fürstin Gloria von Thurn und Taxis flirtet. Oder, um meine Mitspieler noch stärker zu beeindrucken: der kleine Mozart, gepudert und mit seiner Löckchenperücke zwischen Joko und Klaas, den wahren Promis!

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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