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Hat seinen eigenen Kopf: Bundespräsident Joachim Gauck

© dapd

Kolumne: Wer Gauck wollte, kriegt jetzt auch Gauck

Die Deutschen wollten einen Präsidenten mit einem eigenen Kopf, einen, der sagt, was er denkt. Sie wollten Gauck - und nun ist es auch wieder nicht recht.

Der neue Bundespräsident Joachim Gauck hat noch nicht einmal die hundert ersten Tage im Amt verbracht, die man jedem neuen Amtsinhaber kritikfrei zugesteht, nun hat er denkbar schwierige Auslandsreisen absolviert. Und schon macht sich das Kommentariat über seine Äußerungen her. Den scheinbar unaufhebbaren Gesetzen des Journalismus folgend, werden Gaucks Worte weniger um ihrer selbst willen bewertet, sondern vielmehr nach der polit-medialen Kontrovers-Logik: Wer gegen wen, wer gegen was?

Hat er sich nun wirklich gegen die Kanzlerin positioniert, als er ihr Wort von der Sicherheit Israels als Bestandteil der deutschen „Staatsräson“ nicht eins zu eins übernahm? Hat er sich wirklich gegen seinen Vorgänger Christian Wulff gestellt, weil er dessen Satz, der Islam gehöre inzwischen zu Deutschland, nicht nuancenlos übernehmen wollte?

Es wirkt, das vorweg, schon absurd, dass man einerseits nach einem Bundespräsidenten mit eigener Statur und eigenen Gedanken verlangt, um andererseits gleich die Frage zu stellen, ob er denn brav nachbuchstabiert, was die Kanzlerin und der Vorgänger ihm vorgebetet haben. Aber nun zu den Einzelheiten.

Bildergalerie: Gaucks Karriere nach der Wende

Zu Israel: Joachim Gaucks entscheidender Satz lautet, dass die Deutschen die Letzten sein dürfen, die dem Volk Israel die Solidarität entziehen. Was will man mehr, wenn man von den Deutschen mehr erwartet als von allen anderen? Dass er das Wort von der „Staatsräson“ meidet, ist in Wirklichkeit eine hilfreiche Entlastung von der Selbstüberforderung sowohl der Kanzlerin als auch der deutschen Politik. Ultra posse nemo obligatur, sagt dazu das römische Recht: Niemand ist zu mehr verpflichtet, als er leisten kann.

Nun lasst Gauck mal machen!

Wer von „Staatsräson“ auch im Blick auf künftig denkbare Militärschläge durch ein anderes oder gegen dieses andere Land spricht, überdehnt seine Zusage ins möglicherweise Unerfüllbare und weckt Erwartungen, von denen er heute nicht wissen kann, ob er und wie er sie einmal zu erfüllen vermag. (Nicht einmal der Nato-Vertrag geht in seinen gegenseitigen Bündnisverpflichtungen so weit!) Die Staatsräson, die raison d’être eines Staates, die letzte Logik seines Daseins, zielt allein auf seine eigene Selbsterhaltung. Sie ist insoweit absolut und nicht teilbar. Dass Joachim Gauck also beides klargestellt hat, nämlich: Deutschland muss mehr für Israel tun als alle anderen, kann aber auch nicht mehr versprechen, als es leisten könnte, ist in Wirklichkeit eine verdienstvolle Feinjustierung; in Gaucks früherem Beruf als Pfarrer hätte man gesagt: ein Stück politischer Diakonie.

Bildergalerie: Die Reaktionen auf Gaucks Äußerungen zum Islam

Zum Islam: Hat eigentlich keiner wahrgenommen, dass niemand fairer und warmherziger über Christian und Bettina Wulff gesprochen hat – auch über die Endphase, und das ohne jeden Vorwurf in der Sache – als der Amtsnachfolger? Wenn nun Gauck sagt, er wolle, bei ausdrücklicher Anerkenntnis der Wulff’schen Motivation, die Gleichstellung „des“ Islam mit dem Christentum und dem Judentum in Bezug auf die Zugehörigkeit zu unserem Verfassungsstaat nicht schematisch übernehmen, was ja auch in dieser Pauschalität historisch wie religionspolitisch (Stichwort: Scharia) falsch wäre, sondern lieber sagen, die hier lebenden Muslime gehörten ganz und gar zu uns: Was soll daran anstößig sein?

Auch hier handelt es sich wiederum um eine feinjustierende Nuancierung einer kontrafaktischen Übertreibung, die nur provoziert, ohne wirklich überzeugen zu können. Wer Gauck wollte und dabei wusste, was er wollte, der bekommt ihn jetzt: jemanden, der sich unter Achtung des Verfassungsgefüges seinen eigenen Kopf macht und dafür auch selbstständige Worte findet. Nun lasst ihn mal machen. Nicht nur die ersten hundert Tage!

Robert Leicht war Chefredakteur der "Zeit". Heute arbeitet er für die Wochenzeitung als politischer Korrespondent. Seine Kolumne im Tagesspiegel erscheint montags im Wechsel mit Alexander Gauland.
Robert Leicht war Chefredakteur der "Zeit". Heute arbeitet er für die Wochenzeitung als politischer Korrespondent. Seine Kolumne im Tagesspiegel erscheint montags im Wechsel mit Alexander Gauland.

© C.v.S.

Robert Leicht war Chefredakteur der "Zeit". Heute arbeitet er für die Wochenzeitung als politischer Korrespondent. Seine Kolumne im Tagesspiegel erscheint montags im Wechsel mit Alexander Gauland.

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