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Kommentar: Auskunft verweigert

Ganovenehre: Warum die RAF-Inhaftierten bis heute schweigen.

Von Sibylle Tönnies Drei Tote und 18 Mörder – so könnte der Krimi heißen, der gerade läuft. Denn tatsächlich sind für die Morde an Buback, Ponto und Schleyer insgesamt 18 Menschen als Mörder verurteilt worden. Merkwürdig: Jetzt, wo alles gelaufen ist, jetzt, wo die Täter ihre Strafen abgesessen haben, kommt erst mit Macht die Frage auf: Wer war’s?

Warum hat diese Frage, die doch den Kern jedes Krimis ausmacht, bisher niemand heiß gemacht? Sie hat natürlich die Polizei und die Justiz interessiert, damals, als die Strafverfahren liefen, aber sie blieb unbeantwortet. Die Angeklagten schwiegen, und sie waren auch durch das Angebot, sich als Kronzeugen mildere Strafen zu verdienen, nicht zu erweichen. Aber die Gerichte konnten die Frage letzten Endes offen lassen. Das Strafrecht hat einen weiten, über die unmittelbare Verursachung hinausgehenden Täterbegriff. „Begehen mehrere die Tat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter)“, heißt es in Paragraf 25 des Strafgesetzbuches. Alle Beteiligten konnten infolge dieser weit gefassten Konstruktion als Mörder verurteilt werden.

Die Angehörigen der Opfer aber wollen endlich wissen, wer es „wirklich“ war. Warum beschäftigt diese Frage sie so sehr? Kann ihnen die Tatsache, dass so viele Menschen für die drei Morde sühnen mussten, nicht Genugtuung verschaffen? Nein. 18 Mörder bei drei Toten – das ist einerseits zu viel und andererseits zu wenig. Das juristische, weniger vom objektiven Geschehen als von der subjektiven Schuldintensität ausgehende Verständnis von Täterschaft ist eine Konstruktion, die etwas unbefriedigt lässt. Das auf Frevel reagierende Unbewusste funktioniert anders, sowohl das der Angehörigen als auch das der Volksseele. Ohne die Identifikation der „wirklichen“ Mörder fehlt ein wesentlicher Bestandteil der Strafe: die Brandmarkung, die Stigmatisierung, das Kainszeichen. Deshalb will auch der Krimileser wissen, wer es „wirklich“ war, nicht nur, wem die Schuld juristisch zuzurechnen ist.

Es besteht ein archaischer Bezug zwischen der Tat und dem Täter, der losgelöst ist von der Schuldfrage. Es geht um die Verursachung des Todes. Wer nur dabei war und die tödliche Kugel nicht selbst abgeschossen hat, kann sich sauberer fühlen als derjenige, der selbst geschossen hat. Das ist ja auch der Grund dafür, dass für die Exekution von Todesurteilen ganze Erschießungskommandos eingesetzt werden. Ein einzelner Schütze würde ja genügen. Aber keiner soll sich hinterher fühlen müssen wie ein Henker. Jeder soll sich sagen können: Ich war es nicht! Obwohl doch alle in gleicher Weise verantwortlich sind.

An diese unmittelbare Täterschaft knüpfen auch die Empfindungen des Angehörigen an. Er will den Täter kennen, sei es für den Hass, sei es für das Verzeihen – er will ihm, jedenfalls im Geiste, ins Auge blicken können. Er will in eine innere Beziehung zu einem Individuum treten. Das ist begreiflich. Man muss jedoch bedenken, dass das Strafrecht eine relativ neue Erscheinung ist, gerade erst einige hundert Jahre alt. Um das Jahr 1000 herum war es in unseren Breiten noch die Angelegenheit der Verwandten, einen Mord durch Blutrache in Ordnung zu bringen. Das ist Gott sei Dank vorbei, könnte man sagen. Aber man muss in Rechnung stellen, dass aus diesen Zeiten ein besonderes Interesse der Angehörigen zurückgeblieben ist an der Frage: Wer war es wirklich?

Dieselben Gründe machen aber auch das Bestreben der Verurteilten, sich gegenseitig zu decken und über den tatsächlichen Tathergang nicht zu sprechen, begreiflich. Es handelt sich dabei nicht etwa um ein niederes Motiv. Im Gegenteil: Es ist eine Sache der Ehre, sich nicht gegenseitig zu verraten. Auch die Ganovenehre findet in unserer Ethik Anerkennung; man hatte deshalb bei der Kronzeugenregelung nie ein gutes Gefühl und hat sie wieder abgeschafft.

Beide Seiten, sowohl die der Angehörigen als auch die der Täter, haben also für ihr Verhalten begreifliche Motive. So ist es manchmal …

Die Autorin lehrt an der Universität Potsdam und hat Mitte der 70er Jahre Mitglieder der RAF vor Gericht verteidigt.

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