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Kommentar: Belebende Operation

Berlins Charité steht mithilfe des Bundes vor einer neuen Ära

Dem Patienten geht es den Umständen entsprechend gut“, erklärte die Charité vor ein paar Jahren. Das finanzklamme Universitätsklinikum sprach nicht etwa von sich selbst, sondern von einem kranken 66-Jährigen. Er war drei Tage lang in einem Charité-Fahrstuhl stecken geblieben. Die Berliner sind an Charité-Skandale gewöhnt: Eine Krankenschwester wird als Serienmörderin enttarnt, ein Nachwuchsprofessor als Fälscher, ein leitender Angestellter als einstiger Stasi-Major. Mal gibt es Streik, mal einen Streit – etwa mit dem Finanzsenator, der befürchtet, dass der Koloss an seinen Schulden erstickt.

Nun steht die Charité vor einer neuen Zeitrechnung. Die Bundesregierung kommt ihr zu Hilfe. Die Charité soll mit dem vom Bund finanzierten Max-Delbrück-Centrum in Berlin-Buch fusionieren, Filetstücke der Forschung werden vereint. Etwas völlig Neues soll entstehen, als Pilotprojekt für die ganze Republik. „Nennenswerte Summen“ verspricht der Bund.

Über die Abgründe der Charité setzt Bundesforschungsministerin Annette Schavan sich unerschrocken hinweg. Denn sie erkennt, dass die Charité etwas zu bieten hat, das in Deutschland einzigartig ist. Eingebettet in ein dichtes Netz von Universitäten und Forschungseinrichtungen trägt die Charité schon jetzt Bedeutendes zur Forschung bei – und zeigt sich damit auch ihres weltbekannten Namens würdig. In dem 1710 als Pesthaus gegründeten Klinikum forschten im 19. und 20. Jahrhundert Dutzende berühmter Wissenschaftler, darunter Robert Koch, Rudolf Virchow und Hermann von Helmholtz. Die Größe der Charité ist in der Forschung ein Gewinn: Große Leistungen sind heute nur in großen Teams und mit Kontakten in alle Nachbardisziplinen möglich.

Die Charité hat unter ihrer Größe gleichwohl oft genug zu leiden gehabt und leidet auch heute unter ihr. Die Verteilung auf drei Standorte ist ein Produkt der deutschen Teilung und der Wiedervereinigung. Die Amerikaner halfen West-Berlin mit der Freien Universität und dem Universitätsklinikum Benjamin Franklin. Ende der achtziger Jahre wurde auch das Rudolf-Virchow-Krankenhaus ein Klinikum der FU. In Ost-Berlin blieb die Charité das medizinische Flaggschiff, ihr Symbol war seit 1982 das Bettenhaus in Mitte.

Die Wiedervereinigung war für die Universitäten ein schmerzhafter Prozess, auch für die FU. Sie musste das Virchow-Klinikum an die Humboldt-Uni abgeben und ihr Klinikum Franklin zwei Jahrzehnte lang gegen dessen Schließung und Abwertung verteidigen.

Andere Länder mögen sich darüber ärgern, dass der Bund jetzt scheinbar willkürlich Berlin begünstigt. Doch Berlin ist ein Spezialfall. Die Charité operiert nicht nur die Blinddärme der Berliner. In der medizinischen Forschung erfüllt Deutschlands größtes Uniklinikum eine nationale Aufgabe. Berlin ist damit finanziell längst überfordert. Vor allem aber bietet Schavans Engagement die Chance, die Folgen der Teilung in Berlins großer angesehener Unimedizin endgültig zu überwinden. Das geht nicht nur Berlin etwas an.

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