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Kommentar: Klima und Frieden: In Not und Zeitnot

Klima und Frieden sind die Menschheitsthemen dieser Tage. Gäbe es einen Klimaschutznobelpreis, so gehörten die Deutschen zu den Favoriten. Der US-Präsident würde ihn wohl kaum bekommen. Amerika pustet die meisten Treibhausgase pro Kopf in die Atmosphäre und tut wenig, um das zu ändern. Derweil nimmt Barack Obama in Oslo den Friedensnobelpreis entgegen – nur wenige Tage nach seiner Ankündigung, 30 000 weitere Soldaten nach Afghanistan zu schicken.

Die Klimakonferenz muss noch acht Tage auf ihn warten. Nach Kopenhagen reist er am 18. Dezember, mit minimalen Zugeständnissen. Aus amerikanischer Perspektive hat die zeitliche Abfolge ihre inhaltliche Richtigkeit. Der Frieden, wie die USA ihn verstehen – Niederkämpfen der Taliban in Afghanistan, Verhinderung der iranischen Atombombe, weltweite Dominanz des Wertesystems individueller Freiheit und Marktwirtschaft – hat Vorrang vor dem Klima. Hätte Obama einen Wunsch an die Deutschen frei, dann mehr globale Friedensverantwortung in diesem Sinne.

Angela Merkel und die meisten Deutschen haben umgekehrte Prioritäten. Wenn sie sich was wünschen dürften von Obama und Amerika, wäre es wohl mehr globale Klimaverantwortung. Afghanistan darf dagegen warten, nicht nur acht Tage, sondern acht Wochen. Erst bei der Londoner Konferenz Ende Januar will die Bundesregierung ihren Beitrag zu Obamas neuem Kurs am Hindukusch benennen. Das ist Abwartetaktik. In London wird die Kanzlerin nichts erfahren, was sie nicht schon wüsste. Sie weicht einem ihr unangenehmen Thema aus.

Den Vorwurf kann man auch Amerika machen, nicht aber Obama. Die USA sind einer der Hauptschuldigen, warum es in Kopenhagen zu keiner verbindlichen Absprache über Treibhausgase kommen wird, sondern nur zu Absichtserklärungen, von denen die Verantwortlichen zum Trost sagen, sie seien politisch bindend. Obama möchte nicht mehr versprechen, als der US-Kongress ihm erlaubt. Kyoto hat gezeigt: Ein Vertrag, dem der Präsident zustimmt, der aber zu Hause nicht umgesetzt wird, ist wenig wert. Obama wird also 17 Prozent weniger CO2 als 2005 anbieten, was nur vier Prozent Reduzierung gegenüber dem in Europa üblichen Referenzjahr 1990 entspricht. Doch er kämpft für mehr. Er sagt den Amerikanern, sie seien beim Klimabewusstsein zwei Jahrzehnte hinterher. Er drängt sein Volk und die zögernden Parlamentarier, die um ihre Wiederwahl im Herbst 2010 fürchten, umzudenken. Das ist für ihn ebenso schwierig wie für Merkel, den Deutschen mehr Soldaten und Polizeiausbilder für Afghanistan abzufordern. Wann wird sie sich zu einer ähnlich mutigen Führung entschließen?

Oder es wird ein Deal daraus. Merkel hilft Obama bei seinem Kampf um mehr Klimaschutz und er ihr in der Afghanistanpolitik durch die Absprache: für jede tausend Tonnen weniger CO2 in den USA schickt Deutschland einen Soldaten mehr nach Afghanistan? Politik ist ein großer Basar, aber ein solches Geschäft, Soldaten gegen Treibhausgase, wird es zu Recht nicht geben. Beide könnten jedoch mehr tun, um ihren Bürgern die guten Gründe für die Prioritäten des Partners zu erklären. Nur wer handelt und politisch etwas riskiert, darf das von anderen fordern. Abwarten hilft kurzfristig dem Seelenfrieden, lässt sich aber nicht lange durchhalten. Die Rechnung folgt unweigerlich. Weder Afghanistan noch das Klima haben die Zeit, die sich Amerika und Deutschland nehmen.

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