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Lena: Wirklich die letzte Hoffnung der Deutschen?

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Kommentar: Lena, Lena über alles

Malte Lehming über die Seelenlage der Deutschen im Jahre 2010 und einen Eurovisionswettbewerb, der beinahe schon absurde Züge annimmt.

Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt, sondern zuerst. Schauen wir uns die Seelenlage der Deutschen im Jahre 2010 an. Sie schwankt zwischen Depression und Resignation. Der Sommer fällt wohl aus, Bayern München verliert krachend, von der Fußball-WM, ob mit oder ohne Michael Ballack, ist ohnehin nichts zu erwarten, ansonsten Krise, Sparen, Inflationsgefahr, Euro-Absturz. Das schlägt aufs Gemüt.

Ein paar Schlagzeilen aus der jüngsten Zeit: "Wirtschaftskrise raubt den Deutschen den Schlaf", schreibt der Spiegel. Rund vier Millionen Arbeitnehmer leiden unter schweren Schlafstörungen durch Stress und psychische Belastung. In der Krise sind die Zahlen deutlich gestiegen. "Zwei Drittel der Deutschen fürchten um ihre Ersparnisse", schreibt das Handelsblatt. Außerdem rechnen sie mehrheitlich mit einem sinkenden Lebensstandard in den kommenden zwei Jahren. "Griechenland-Krise drückt die Stimmung", schreibt der Stern. Rund die Hälfte der Deutschen schätzt die Konjunkturaussichten negativ ein. "Arbeit geht an die Nerven", schreibt der Tagesspiegel. Die Zahl psychisch bedingter Krankschreibungen ist um fast 40 Prozent gestiegen. "Deutsche sind beim Alkoholkonsum Weltspitze", schreibt die Welt. Mit einem jährlichen Pro-Kopf-Konsum von 9,9 Liter reinen Alkohol liegt Deutschland international an der Spitze. "Krise treibt Selbstmord-Rate in die Höhe", schreibt das Handelsblatt. Die Zahl der Selbstmorde in Deutschland wird nach Einschätzung von Experten infolge der Wirtschaftskrise deutlich steigen.

Wie der WM-Sieg von 1954

Und wo bleibt das Wahre, Gute, Schöne? Gibt es nichts, worauf wir uns freuen können? Da steht noch das 20. Jubiläum der Wiedervereinigung an. Doch selbst diesem Ereignis wohnt kein Zauber mehr inne. Die Bilanz des Miesepeters lautet: Der Westen gab sein Geld, der Osten seine Identität auf, messbare Erfolge – etwa der erste Platz beim olympischen Medaillenspiegel – blieben aus, stattdessen nahmen Rechtsextremismus, Staatsschulden und Atheismus zu. Zunehmend wirkt der inszenierte Frohsinn um den 3. Oktober wie andressiert. Die Herzen bleiben kalt. Wenn Blicke töten könnten, würden sich die Deutschen täglich selbst dezimieren. Was sie ohnehin bereits tun, denn weiterhin sinkt die Geburtenrate, während die Zahl der Abwanderer zunimmt.

Die Kraft zum Aufbegehren ist längst erloschen. Amerikaner feiern Tea Partys, Deutsche gehen dahin, wo sie eigentlich Hausverbot haben sollten - in sich. Oder sie werden leer. In solch düsteren Zeiten wächst die Sehnsucht nach Trost ins Gigantische und nimmt absurde Züge an. Wie der berühmte Ertrinkende an den Strohhalm klammern wir uns an die 19-jährige Lena aus Hannover. Nicht das Objekt unserer Begierde ist interessant, sondern die Begierde selbst. Wenn dieses Mädchen den "Eurovision Song Contest" gewinnt, ist das wie der WM-Sieg von 1954. Ein Volk, das sich als geschunden empfindet, sucht Erlösung in der Kompensation. Von Dauer kann sie nicht sein.

Die Hoffnung stirbt weder zuletzt, noch zuerst, sie ist bereits tot.

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