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Kommentar: Von Bagdad nach Kabul

US-Abzug aus dem Irak: Der Verlauf des Krieges dient Obama als Folie für Afghanistan.

Der Streit um den Irakkrieg hat eine Bundestagswahl und eine US- Kongresswahl entschieden sowie Amerikas Präsidentenwahl stark beeinflusst. Dieses Potenzial wird das Thema behalten, auch wenn Barack Obama gestern seine lange erwarteten Abzugspläne bekannt gab. Mit Blick auf die Lehren für Afghanistan können die Irakerfahrungen Wirkung auf die Bundestagswahl 2009 entfalten. Auch Obamas eigene Wiederwahlchancen 2012 sowie die Aussichten der US-Demokraten, bei der Kongresswahl 2010 die Mehrheit zu verteidigen, die sie 2006 dank des Irak errungen haben, entscheiden sich am Erfolg von Obamas Irakpolitik.

Der neue Präsident ist auch da weniger revolutionär, als viele hofften. Er zieht keinen Schlussstrich unter Bushs Krieg, verfügt nicht den Komplettabzug, sondern zunächst den Rückzug der Kampftruppen. Die US-Präsenz soll sich bis August 2010 mehr als halbieren – soweit die Entwicklung im Land das ohne Gefahr für die Stabilität erlaubt, wie Obama anfügt. Noch vager formuliert er das Ziel, Ende 2011 den letzten Soldaten heimzuholen. Vermutlich werden Zehntausende noch über Jahre im Irak sein, wie auch die Botschaft in Bagdad noch lange Amerikas größte auf der Welt bleiben wird.

Wie passt das zu Obamas Wahlversprechen? Die Sicht der Amerikaner auf den Irak hat sich kontinuierlich verändert, von triumphaler Siegesgewissheit 2003 über das Empfinden einer Katastrophe, die sich ähnlich wie Vietnam entwickele, zwischen 2005 und 2007, bis zum Gefühl, dass die Niederlage vermeidbar sei. Seit Sommer 2008 herrscht die Sicht, dass Bushs unpopuläre Truppenverstärkung ein Erfolg war und die Lage sich stabilisiert. Irak ist kein lästiges Problem mehr, dem man sich durch Flucht entzieht. Wenn Amerika Geduld und Weitsicht behalte, könne man in Ehren abziehen. Es wird nicht der Triumph von Demokratie und Freiheit, den Bush versprochen hat, aber auch nicht der „Sumpf“ mit tausenden Toten, die vergebens gestorben sind, wie die Demokraten lange behauptet haben.

Diese Wendung der Interpretation übernimmt Obama. Denn er sucht den Rückhalt für den Krieg in Afghanistan, der sich aus US- Sicht ungefähr so katastrophal entwickelt wie Irak vor drei, vier Jahren. Auch Afghanistan kann sich zum Besseren wenden, wenn man es richtig angeht, heißt es nun. Das Rezept ist eine Mischung aus mehr Truppen, mehr Aufbauhilfe, um die Bevölkerung zu gewinnen, und dem Bemühen, regionale Führer und ihre Stämme aus der antiwestlichen Koalition herauszukaufen.

Angesichts der politischen Gemengelage in den USA und in Europa ist der Schwenk waghalsig. In Amerika sind viele Demokraten empört, die Republikaner applaudieren. Deutschland und Europa müssen entscheiden, ob sie Obamas Weg mitgehen wollen. Gelingen kann die Strategie nur gemeinsam. Ebenso sicher ist: Tut der Westen nicht mehr, wird er die Lage in Afghanistan nicht wenden.

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