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Meinung: Angriff auf die Staatskasse

Mit Steuermilliarden sollten die Finanzmärkte gerettet werden. Heraus kam ein Selbstbedienungsprogramm für gescheiterte Banker.

Renaissance des Staates, Wiederkehr des Primats der Politik, die Regierung am Steuer – so und ähnlich lauten die Schlagworte, wenn die politische Klasse über ihre neue Lage im Jahr eins nach dem Super-Crash reflektiert. Endgültig vorbei scheinen die Zeiten, in denen marktradikale Ideologen der Politik vorhalten können, sie würde „von den Finanzmärkten kontrolliert“, wie Hans Tietmeyer, der frühere Präsident der Bundesbank, es einst verkündete. Nur noch lächerlich scheint das Diktum des einstigen Deutsche-Bank-Chefs Rolf Breuer, der die Finanzmärkte zur „fünften Gewalt“ erkor, die „besser als die Wähler“ die Politik auf die „richtigen Zielsetzungen“ festlegen könne. Stattdessen wettert nun eine Kanzlerin Merkel gegen die „Exzesse der Märkte“ und schwärmt vom „Staat als letzte Institution, die handeln konnte“. Ganz ähnlich geben sich auch Britanniens Gordon Brown oder Frankreichs Nicolas Sarkozy als Wirtschaftsreformer, und gemeinsam mit ihren Kollegen aus aller Welt veranstalten sie Globalkonferenzen zur Zähmung des Finanzkapitalismus gleich in Serie.

Erleben wir nun also die große Wende nach drei Jahrzehnten der Staatsverächtung und der Diktatur des Marktes? Verwandeln sich die Regierungen vom ausführenden Organ der organisierten Konzernlobby in den „Hüter der Ordnung“, der den Markt „zum Wohle des gesellschaftlichen Gesamtinteresses steuert“, wie die Kanzlerin verspricht? Schön wär’s. Doch im wirklichen Leben spielt sich das genaue Gegenteil ab. Nicht etwa machen gewählte Politiker knallharte Vorgaben, wie die mit Hybris in die Pleite gewirtschafteten Geldkonzerne saniert werden müssen, wenn sie Staatshilfen in Anspruch nehmen. Sondern umgekehrt diktiert der alte Filz aus Bankern und ihren Lobbyisten im Amt, wie jenseits aller demokratischen Kontrolle Abermilliarden Euro, Pfund und Dollar aus Steuergeldern ausgereicht werden, ohne dass ein konkreter Nutzen auch nur in Aussicht steht.

In Deutschland begann dieser Angriff auf die Staatskasse schon an jenem Oktoberwochenende im Kanzleramt, wo Deutsch-Banker Josef Ackermann wie selbstverständlich am Gesetzentwurf für den „Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung“ (Soffin) mitwirkte. Die Formulierung des Textes übernahmen dann auch gleich die Anwälte der Kanzlei Freshfields, die weltweit der Finanzindustrie zu Diensten ist. Ganz ähnlich lief es in London und Washington, wobei dort mit Henry Paulson, dem Ex-Chef von Goldman Sachs, ohnehin ein Sachwalter der Wall Street das Heft in der Hand hielt. So durften die Vertreter der Begünstigten gleich selbst mitbestimmen, zu welchen Konditionen ihre Branche Zugriff auf die öffentlichen Haushalte bekommen sollte.

Als zentrale Rechtfertigung der Eil -Operation diente die berechtigte Furcht, die im Schwarzen Loch des selbst verursachten Misstrauens gefangenen Banken seien zu groß, um sie in Konkurs gehen zu lassen. Noch ein Fall wie Lehman Brothers könne die Kreditvergabe zum Erliegen bringen, ohne die aber in der Wirtschaft vom Großkonzern bis zum Handwerksbetrieb gar nichts laufe, lautete das Argument. „Too big to fail“ hieß es allenthalben auch von Washington bis Melbourne, wenn aufgeblähte Finanzkonzerne mit Milliardenspritzen vor dem Untergang bewahrt werden mussten. Und treuherzig versicherte die Kanzlerin, „nicht die Banken, sondern die Bürger“ gelte es zu schützen.

Doch merkwürdig: In der praktischen Ausführung der jeweiligen Programme spielten eben diese Kriterien, die Größe der begünstigten Geldhäuser und das Ausmaß ihrer Kreditvergabe, gar keine Rolle. Die Regierungen machten nicht etwa konkrete Vorgaben, bis wann sie auf eine Größe unterhalb der Gefahrenschwelle zurückgeführt werden sollen. Im Gegenteil: Die Rettungsmilliarden werden missbraucht, um damit noch größere Finanzgiganten zu schmieden – und das ohne Vorgaben für die Kreditverteilung.

So stützte die US-Regierung gleich ein halbes Dutzend Fusionen mit mehr als 100 Milliarden Dollar. Dabei erhielt ausgerechnet die Megabank J. P. Morgan, Marktführer beim Verkauf von „giftigen“ Kreditderivaten, 25 Milliarden Dollar für den Kauf der Sparkasse „Washington Mutual“. In Großbritannien muss der Steuerzahler die Fusion von Lloyds TSB mit der Halifax Bank subventionieren – ein Geschäft jenseits aller marktwirtschaftlichen Vernunft. 30 Prozent aller britischen Haushalte sind nun Kunden nur eines Geldkonzerns.

Dem gleichen Muster folgt das Commerzbank-Projekt von Finanzminister Steinbrück. Gleich 18,2 Milliarden Euro ließ er an die Bank mit dem gelben Logo überweisen, damit diese die heruntergewirtschaftete Dresdner Bank übernehmen kann. Dabei hätte deren bisheriger Eigentümer, der reiche Allianz-Konzern, die Dresdner durchaus mit eigenem Geld sanieren können. Doch Steinbrück will getreu der gerade erst gescheiterten Logik des „Standortwettbewerbs“ einen „starken Player neben der Deutschen Bank“.

So absurd diese Begründung ist, so bizarr sind die finanziellen Konditionen. Da fließt eine Summe, die dem Gesamtetat aller Bundesländer für ihre Universitäten entspricht, an eine Bank, die an der Börse nicht mal mehr ein Sechstel davon wert ist. Und im Gegenzug wird nicht etwa der Staat im Namen seiner Steuerzahler Eigentümer, sondern er bekommt nur eine Sperrminorität von 25,1 Prozent und eine „stille Einlage“ von 16,4 Milliarden. Deren „marktübliche Verzinsung“, wie sie eigentlich EU-weit Pflicht ist, steht nur auf dem Papier. Die jährlich fälligen anderthalb Milliarden Euro wird es mangels Gewinn für viele Jahre nicht geben, geschweige denn eine Rückzahlung. Mit anderen Worten: Die Bank bekommt umsonst Kapital, und der Steuerzahler bekommt Aktien, die nicht mal die dadurch verursachten zusätzlichen Schuldzinsen eines Jahres decken. Wenn dann irgendwann der Aktienwert wieder steigt, werden die privaten Aktionäre die großen Gewinner sein. Und zu allem Überfluss versichert Steinbrück, dass die Regierung sich keinesfalls „in das operative Geschäft einmischen“ wolle, sondern dies lieber jenen überlässt, die für das bisherige Missmanagement verantwortlich sind. Alles andere wäre ja, „ein zu starker Eingriff in die Rechte und das Eigentum der Aktionäre“, erklärte flankierend Otto Bernhardt, der Bankenexperte der Unionsfraktion im Bundestag.

Dass er als Volksvertreter in erster Linie die Interessen der Steuerzahler zu wahren hat, kommt dem Mann offenbar gar nicht in den Sinn. Aber er ist in guter Gesellschaft. Schließlich betreiben die Abgeordneten der großen Koalition beim Umgang mit den Soffin-Milliarden alle gemeinsam „systematisch die Entmachtung des Parlaments“, wie der Grünen-Abgeordnete Alex Bonde beklagt. Die Entscheidungsgewalt überlassen sie allein einem ministerialen „Lenkungsausschuss“, wo Finanzstaatssekretär Axel Nawrath den Vorsitz führt. Dessen Qualifikation besteht vor allem darin, dass er zuvor Geschäftsführer der Deutschen Börse AG war. Für die von ihm und seinen Mitlenkern gefällten Beschlüsse hat sich der Haushaltsausschuss nicht mal einen Vorbehalt gesichert. Stattdessen wird lediglich ein Unterausschuss errichtet, dessen Mitglieder aber die Öffentlichkeit nicht informieren dürfen. So müssen die Bürger zwar für bis zu 480 Milliarden Euro haften, aber für wen und zu welchen Bedingungen, das sollen sie nicht wissen. Und selbst der Geheimausschuss ist nur eine Farce. Der Commerzbank-Deal ging über die Bühne, ohne dass die Abgeordneten auch nur informiert wurden.

Unkontrolliert ging so auch durch, dass die Bankenretter die Gebühren für die vergebenen Bürgschaften auf ein Prozent der jeweiligen Summen kürzten, obwohl in der Gesetzesbegründung noch jene zwei Prozent genannt waren, die Geschäftsleute gemeinhin für eine Bankbürgschaft zahlen müssen. Bezogen auf die Gesamtsumme verzichtet der Staat damit mal eben auf vier Milliarden Euro im Jahr. Und das in einem Land, wo gleichzeitig Zigtausende vor den Sozialgerichten um ein paar Euro mehr an Arbeitslosenhilfe kämpfen.

Die Aussetzung des wichtigsten aller Parlamentsrechte, der Hoheit über die Staatsausgaben, begründeten die Bankenretter mit dem vermeintlich notwendigen Schutz wichtiger Geschäftsgeheimnisse. Doch das rechtfertigt nicht, dass die Abgeordneten den Finanzminister seinen 480-Milliarden- Fonds so betreiben lassen, wie es die Banken mit ihren Investmentvehikeln in Steueroasen hielten – außerhalb der Bilanz und ohne jede Aufsicht. Zugegeben, auch in anderen Staaten läuft es nicht viel besser. Der bisherige US-Finanzminister Paulson brachte es fertig, seiner Ex-Firma Goldman Sachs für 10 Milliarden Dollar Wandelanleihen abzukaufen, deren Wert nicht mal ein Viertel dessen beträgt, was der private Investor Warren Buffet kurz zuvor fürs gleiche Geld bei Goldman erhielt. Aber in den USA und anderswo sorgen die Parlamente wenigstens für Öffentlichkeit und Korrekturen. Deutschlands Parlamentarier dagegen verweigern einfach ihre zentrale Aufgabe. In jedem anderen Job würde das für eine fristlose Kündigung reichen. Das gilt auch für die Opposition, der für ihren Protest nichts anderes einfällt als ein paar Presseerklärungen.

All das wäre noch erträglich, wenn wenigstens das Ziel, die Stabilisierung des Kreditgeschäfts, erreicht würde. Doch genau das wird so nicht gelingen. Der Einsturz des globalen Kartenhauses, in dem Kredit über Kredit geschichtet wurde, während die Qualität der Schuldner immer weiter abnahm, ist noch lange nicht beendet. Weltweit stehen der Finanzbranche nach Berechnungen des bisher treffsicheren US-Ökonomen Nouriel Roubini weitere Wertverluste von mehr als einer Billion Dollar bevor. Den meisten betroffenen Finanzkonzernen, auch den deutschen, droht der Verlust des gesamten Eigenkapitals. Vor diesem Hintergrund ist es nur rational, dass die Banker extrem vorsichtig bei der Kreditvergabe sind und ihr Geld auf den Zentralbankkonten horten, auch wenn sie damit die Krise eskalieren.

Anstatt immer mehr Staatsgeld ohne Gegenleistung in ein Fass ohne Boden zu stecken, sollten sich Regierung und Parlament darum endlich der Realität stellen: Der Volkswirtschaft wäre am besten geholfen, wenn alle Banken, die nicht ohne Staatshilfen auskommen, zu ihrem verbliebenen Börsenwert in Staatshand überführt werden. Dann hätte das Versteckspiel mit den faulen Investments von unbestimmtem Wert ein Ende, und es könnte endlich wieder ehrlich bilanziert werden. Anschließend könnten die „giftigen“ Wertpapiere tatsächlich, so wie es die Bankvorstände derzeit fordern, in eine „Bad Bank“, eine staatlich verwaltete Depotbank, überführt werden, aber eben so, dass dabei die Steuerzahler nicht über den Tisch gezogen werden. Denn diese wären ja auch an den Wertsteigerungen der betroffenen Geldhäuser beteiligt, wenn diese ihr normales Geschäft wieder aufnehmen und Gewinne erwirtschaften könnten. Sobald sie so wieder auf ihr Kerngeschäft zurückgeführt wären, stünde einer erneuten Privatisierung nichts im Wege. Eine solche Strategie wäre auch keineswegs ein Verstoß gegen die marktwirtschaftliche Verfassung. Denn zum Markt gehört, dass schlecht geführte Unternehmen in Konkurs gehen müssen. Wenn das aber bei Banken im Interesse des Gemeinwohls nicht geschehen darf und sie de facto eine implizite Staatsgarantie genießen, dann ist der enge Zügel staatlicher Kontrolle die zwingende Folge.

Gewiss, auch diese Lösung wäre nicht billig. Aber sie könnte die unvermeidliche Gesundschrumpfung des Finanzsektors und einen Neustart drastisch beschleunigen. Gleichzeitig würde das bisher nur postulierte Primat der Politik, das die Belange der Bürger über die organisierten wirtschaftlichen Einzelinteressen stellt, erstmals seit langem wieder Realität. Für die Demokratie wäre das ein Rekordgewinn.

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